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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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kaum etwas wichtig für mich. Nicht einmal Mickie.«
    Offenbar hatte sie das gut durchdacht, denn ihr Körper entspannte sich, und die Liebe war in ihren Blick zurückgekehrt.
     
    Dieselbe Nacht, exakt dieselbe Uhrzeit in der Britischen Botschaft, Calle 53 in Marbella, Panama City. Die eilig einberufene Konferenz der verstärkten Buchanianer tagt seit einer Stunde, wenngleich Francesca Deane sich in Osnards freudlosem, luftlosen, fensterlosen Kabuff im Ostflügel ständig daran erinnern muß, daß die Welt draußen ihren gewöhnlichen Gang weitergeht: Außerhalb des Raums ist es dieselbe Zeit wie hier drin, gleichgültig, ob wir hier, so ruhig und nüchtern wie möglich, unsere Pläne aushecken oder nicht – Pläne zur Bewaffnung und Finanzierung einer Gruppe supergeheimer panamaischer Dissidenten aus der herrschenden Klasse, bekannt als Stille Opposition, Pläne zur Aufwiegelung und Rekrutierung militanter Studenten, zum Sturz der rechtmäßigen Regierung von Panama und zur Einsetzung einer Vorläufigen Verwaltungskommission, die den Kanal aus den arglistigen Fängen einer Ost-Süd-Verschwörung reißen soll.
    Auf geheimen Sitzungen sind Männer plötzlich ganz anders, dachte Fran als einzige anwesende Frau, während sie unauffällig die um den zu kleinen Tisch gedrängten Gesichter musterte. Man sieht es an ihren Schultern, wie sie sie hochziehen. Man sieht es an den gespannten Kiefermuskeln und an den schmutzigen Schatten um die unruhig lüsternen Augen. Ich bin die einzige Schwarze in einem Raum voller Weißer. Ihr Blick huschte über Osnard hinweg, und sie mußte an den Gesichtsausdruck der Frau denken, die im dritten Kasino als Croupier arbeitete: Also du bist sein Mädchen , hatte ihre Miene gesagt . Dann will ich dir mal was sagen . Schätzchen . Dein Macker und ich , wir treiben Sachen , die du dir nicht mal in deinen wildesten Träumen vorstellen kannst . Auf geheimen Sitzungen behandeln dich Männer wie eine Frau, die sie aus den Flammen retten, dachte sie. Was auch immer sie dir angetan haben, sie erwarten von dir, daß du sie für vollkommen hältst. Ich sollte auf der Schwelle ihrer Hütte stehen. Ich sollte ein langes weißes Kleid tragen, ihre Kinder an meinen Busen drücken und ihnen nachwinken, wenn sie in den Krieg ziehen. Ich sollte sagen: Hallo, ich bin Fran, ich bin der erste Preis, wenn ihr siegreich nach Hause kommt. Auf geheimen Sitzungen haben Männer käsige, schuldbewußte Gesichter, aber das kommt nur von dem miesen weißen Licht und dem unheimlichen grauen Stahlschrank, der auf seinen staksigen Beinen vor sich hinsummt wie ein unmusikalischer Anstreicher auf einer Leiter, um unsere Worte vor neugierigen Ohren abzuschirmen. Auf geheimen Sitzungen riechen Männer anders als sonst. Weil sie brünstig sind.
     
    Und Fran war nicht weniger erregt, jedoch machte ihre Erregung sie skeptisch, während die Männer von der Erregung beflügelt wurden und sich einem grausameren Gott zuwandten, selbst wenn der Gott der Stunde ein kleiner bärtiger Mr. Mellors war, der wie ein nervöser einsamer Gast ihr gegenüber am entgegengesetzten Ende des Tisches hockte und mit starkem schottischen Akzent immer wieder »meine Herren« sagte – als sei Fran für diese Nacht in den Stand eines Mannes erhoben worden. Er könne es nicht glauben, meine Herren, sagte er, daß er seit zwanzig Stunden kein Auge mehr zugemacht habe! Aber er schwor, daß er noch weitere zwanzig dranhängen könne.
    »Meine Herren, ich kann gar nicht genug betonen, welch enorme nationale und, wie ich sagen darf, geopolitische Bedeutung dieser Operation von den höchsten Rängen der Regierung Ihrer Majestät beigemessen wird«, versicherte er ein ums andere Mal, während diverse Fragen erörtert wurden wie etwa die, ob die Regenwälder von Darién ein brauchbares Versteck für ein paar tausend halbautomatische Gewehre darstellten oder ob man nicht lieber an etwas denken sollte, das zentraler zu Wohnungen und Büro gelegen sei? Und die Männer verschlangen es gierig. Sie schluckten es ohne Widerrede, weil es ungeheuerlich, aber geheim und deshalb ganz und gar nicht ungeheuerlich war. Rasiert ihm den blöden schottischen Bart ab, rät sie ihnen. Schafft ihn hier raus. Reißt ihm die Maske runter. Laßt ihn das alles im Bus nach Paitilla noch einmal sagen. Und dann seht, ob ihr ihm noch immer glaubt.
    Aber sie schafften ihn nicht raus und rissen ihm nicht die Maske runter. Sie glaubten ihm. Bewunderten ihn. Hingen an seinen Lippen. Maltby

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