Der Schneider
sie mit ihrem Gepäck zum Lift. Den ganzen Tag war es ihnen gelungen, einander aus dem Weg zu gehen; aber jetzt ging es nicht anders, sie mußten sich in diesem düsteren weißen Gefängnis gegenüber sitzen – Andy mit frostigem Blick, Fran verschlossen, und wenn sie einmal lächelte, dann nur in Richtung des Fremden – der zu ihrer heimlichen Entrüstung Andy geradezu hofierte und sich auf höchst widerwärtige Weise seinen Wünschen unterwarf:
»Aber finden Sie diese Vorschläge sinnvoll, Andrew?« hakt Mellors nach und saugt an den Zähnen. »Heraus mit der Sprache, junger Mr. Osnard. Sie haben das aufgebaut, gütiger Himmel! Sie leiten das Ganze hier, Sie sind der Star – mit Verlaub, Euer Exzellenz. Sollte ein Mann im Einsatz – an der Front, mein Gott – nicht besser von lästigen Verwaltungsaufgaben befreit sein, Andrew? Reden Sie ganz offen. Niemand hier am Tisch will Ihre beispielhafte Arbeit schmälern.«
Eine Meinung, der Maltby begeistert Beifall spendet; Stormont folgt einige Sekunden später und weniger begeistert – es geht um das Zwei-Schlüssel-System zur Kontrolle der Finanzen der Stillen Opposition, eine Aufgabe, die nach einhelliger Meinung am besten ranghohen Beamten anvertraut werden sollte.
Warum also ist Andy deprimiert, nachdem ihm eine so schwere Last von den Schultern genommen wurde? Warum ist er nicht dankbar, daß Maltby und Stormont sich jede erdenkliche Mühe geben, ihn von dem Job zu befreien?
»Wie ihr wollt«, brummt er patzig und sieht Maltby finster von der Seite an. Dann verzieht er sich wieder in seinen Schmollwinkel.
Und als sich die Frage erhebt, wie man Abraxas und Domingo und die anderen Stillen Opponenten überreden könnte, über Geld und Logistik direkt mit Stormont zu verhandeln, verliert Andy beinahe vollends die Beherrschung.
»Warum übernehmt ihr nicht gleich das ganze Netzwerk, wenn ihr schon mal dabei seid?« schimpft er mit hochrotem Kopf. »Am besten von der Kanzlei aus, zu den üblichen Dienststunden, Fünftagewoche, das wär’s dann. Nur zu.«
»Andrew, Andrew, ganz ruhig, nicht in diesem Ton hier, bitte!« ruft Mellors und gluckst wie ein altes schottisches Huhn. »Wir sind ein Team, Andrew, stimmt doch, oder? Wir bieten Ihnen lediglich ein wenig Unterstützung an – den Rat kluger Köpfe –, ein stabilisierendes Element in einer glänzend geleiteten Operation. Stimmt’s, Botschafter?« Er saugt an den Zähnen, setzt die betrübte Miene des besorgten Vaters auf, steigert den versöhnlichen Tonfall ins Flehentliche. »Diese Typen von der Opposition, die werden harte Forderungen stellen, Andrew. Man wird aus dem Handgelenk heraus verbindliche Zusagen geben müssen. Man wird jede Menge blitzschnelle Entscheidungen treffen müssen. Heikles Gelände, Andrew, für jemand in Ihrem zarten Alter. Solche Angelegenheiten sollte man besser erfahrenen Leuten überlassen.«
Andy schmollt. Stormont starrt ins Leere. Aber der liebe nette Maltby fühlt sich genötigt, noch ein paar eigene Trostworte hinzuzufügen.
»Mein Lieber, Sie können unmöglich die ganze Sache allein weitertreiben, stimmt’s, Nigel? In meiner Botschaft werden die Lasten auch gerecht verteilt – stimmt’s, Nigel? Niemand will Ihnen Ihre Spione wegnehmen. Sie werden Ihr Netzwerk auch künftig betreuen – Informationen geben und abrufen, Zahlungen leisten und so weiter. Wir wollen nur Ihre Opposition. Wenn das kein faires Angebot ist?«
Aber zu Frans Beklemmung stößt Andy noch immer die Hand zurück, die ihm so liebenswürdig hingehalten wird. Seine glänzenden kleinen Augen huschen zwischen Maltby und Stormont hin und her. Er murmelt etwas Unverständliches, und das ist wahrscheinlich auch gut so. Er lächelt bitter und nickt wie jemand, der grausam betrogen worden ist.
Bleibt eine letzte symbolische Förmlichkeit. Mellors steht auf, taucht unter den Tisch und kommt, über jeder Schulter eine schwarze Ledertasche, wie Kuriere der Königin sie zu tragen pflegen, wieder zum Vorschein.
»Andrew, seien Sie so nett und schließen Sie den Tresorraum auf«, befiehlt er.
Inzwischen sind alle aufgestanden. Auch Fran. Shepherd baut sich vor dem Tresorraum auf, öffnet das Gitter mit einem länglichen Messingschlüssel und zieht es zurück; dahinter befindet sich eine massive Stahltür mit einem schwarzen Zahlenschloß in der Mitte. Mellors nickt, und Andy tritt mit einem derart haßerfüllten Ausdruck vor, daß Fran zutiefst froh ist, ihn vorher noch nie so gesehen zu haben; er dreht
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