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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Rollen Küchenpapier, Geschirrtücher, Putzmittel und Bürste, dann zündete sie eine Kerze an und stellte sie auf den Boden, damit man die Flamme vom Platz aus nicht sehen konnte – draußen wurde gerade ein neues Feuerwerk abgebrannt, das diesmal nicht auf vorbeikommende Gringos, sondern in die Luft geschossen wurde; es verkündete die erfolgreiche Wahl einer Schönheitskönigin, die jetzt, geschmückt mit einer weißen Mantille und einem weißen Kranz aus Pfirsichblüten, mit weißen Schultern und stolz funkelnden Augen, auf ihrem Festwagen über den Platz schwebte, ein Mädchen von solch glühender Schönheit und Vitalität, daß zuerst Ana und dann auch Pendel ihr Tun unterbrachen, um sie vorbeiziehen zu sehen, mit dem Gefolge aus Prinzessinnen und dünkelhaften jungen Burschen und all den Blumen, die für tausend Begräbnisse von Mickie ausgereicht hätten.
    Dann wieder an die Arbeit, schrubben und wischen, bis das desinfizierte Wasser im Waschbecken bei der schummrigen Beleuchtung schwarz geworden war und erneuert werden und dann noch einmal erneuert werden mußte, doch Ana schuftete mit der Bereitwilligkeit, die Mickie ihr immer nachgesagt hatte – mit ihr kann man Pferde stehlen, hatte er oft gesagt, sie ist im Bett genauso unersättlich wie im Restaurant, und bald wurde das Schrubben und Wischen für sie zu einer Katharsis, und sie plauderte wieder so munter daher, als habe sich Mickie nur mal eben verdrückt, um eine neue Flasche zu holen oder schnell mal einen Scotch bei den Nachbarn auf einer der erleuchteten Veranden nebenan zu trinken, wo die Feiernden eben jetzt der Schönheitskönigin mit Klatschen und Jubelrufen huldigten – als läge Mickie nicht mit dem Gesicht nach unten auf dem Fußboden, die Decke überm Kopf, den Hintern in der Luft und eine Hand noch immer nach der Pistole ausgestreckt, die Pendel, von Ana unbemerkt, zur späteren Verwendung in einer Schublade hatte verschwinden lassen.
    »Da, sieh mal, der Minister«, sagte Ana aufgekratzt.
    Auf der Mitte des Platzes war eine Gruppe hoher Herrschaften in weißen panabrisas eingetroffen, um sie her standen Männer mit schwarzen Brillen. Das ist die Lösung, dachte Pendel. Ich trete als Amtsperson auf, wie diese Leute.
    »Wir brauchen Verbandszeug. Such mal einen Erste-Hilfe-Kasten«, sagte er.
    Es gab keinen, also zerschnitten sie ein Laken.
    »Eine neue Tagesdecke muß ich auch kaufen«, sagte sie.
    Auf einem Stuhl hing Mickies magentarotes P & B-Jackett. Pendel griff hinein, zog Mickies Brieftasche heraus und gab Ana ein Bündel Banknoten, genug für eine neue Tagesdecke und ein paar schöne Stunden.
    »Wie geht’s Marta?« fragte Ana, die sich das Geld in den Ausschnitt schob.
    »Großartig«, sagte Pendel aufrichtig.
    »Und deiner Frau?«
    »Danke, der geht’s auch gut.«
     
    Um den Verband um Mickies Kopf zu wickeln, mußten sie ihn in den Korbsessel setzen, in dem vorher Ana gesessen hatte. Als erstes legten sie Handtücher auf den Sessel, dann drehte Pendel Mickie herum, und diesmal schaffte Ana es gerade noch rechtzeitig zur Toilette, wo sie sich, eine Hand nach hinten hochgestreckt, die Finger vornehm gespreizt, bei offener Tür erbrach. Unterdessen stand Pendel über Mickie gebeugt und dachte wieder an Spider, wie er ihn von Mund zu Mund beatmet hatte, obwohl er wußte, daß er nicht mehr ins Leben zurückzuholen war, egal wie laut die Wärter Pendel anbrüllten, er solle sich gefälligst ein bißchen mehr Mühe geben, Mann.
    Doch Spider war nie ein so guter Freund wie Mickie gewesen, kein erstklassiger Kunde, kein Gefangener der Vergangenheit seines Vaters, auch nicht aus Gewissensgründen ein Häftling Noriegas, und niemand hatte ihm im Knast das Gewissen ausgeprügelt. Spider war im Gefängnis nie als Frischfleisch für die Psychopathen herumgereicht worden, damit sie sich an ihm gütlich tun konnten. Spider war durchgedreht, weil er es gewöhnt war, täglich zwei und sonntags drei Mädchen zu vernaschen, und die Aussicht, fünf Jahre ohne ein einziges Mädchen auskommen zu müssen, ihm wie ein langsamer Hungertod erschienen war. Und Spider hatte sich erhängt und sich eingesaut und dabei die Zunge herausgestreckt, was die Mund-zu-Mund-Beatmung noch lächerlicher hatte erscheinen lassen. Mickie hingegen hatte sich ausgelöscht: Eine Hälfte, einmal abgesehen von dem schwarzen Loch, war zwar noch gut erhalten, aber die andere sah so furchtbar aus, daß man sie einfach nicht außer acht lassen konnte.
     
    Aber als

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