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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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machte er es unter ihren unbehaglichen Blicken selbst. Er stellte die Kopfstütze des Beifahrersitzes tiefer und lehnte Mickies Kopf dagegen, zerrte ihm den Gurt über den dicken Bauch und ließ das Schloß einrasten, schlug die Tür zu, dankte den Jungen, dankte mit einer Handbewegung den hinter ihm wartenden Autos und schwang sich auf den Fahrersitz.
    »Und du feierst jetzt weiter«, sagte er zu Ana.
    Aber sie stand nicht mehr unter seinem Bann. Sie war wieder sie selbst und beteuerte unter herzzerreißenden Tränen, in seinem ganzen Leben habe Mickie nie etwas getan, das von der Polizei verfolgt werden müsse.
     
    Er fuhr langsam, ihm war danach. Und Mickie hatte sich, wie Onkel Benny sagen würde, Anspruch auf Respekt erworben. Mickies bandagierter Kopf schwankte in den Kurven und ruckte in den Schlaglöchern auf und ab, und nur der Gurt bewahrte ihn davor, an Pendels Schulter zu sinken, kurz, Mickie benahm sich nicht viel anders als auf der Hinfahrt, nur daß Pendel ihn sich da nicht mit einem offenen Auge vorgestellt hatte. Die Warnblinker eingeschaltet, folgte er den Wegweisern zum Krankenhaus; er saß kerzengerade wie die Fahrer der Krankenwagen, die durch die Leman Street preschten und sich nicht einmal in den Kurven zur Seite neigten.
    Also, wer sind Sie genau? überprüfte Osnard noch einmal Pendels Tarnung. Ich bin ein Gringo-Arzt vom örtlichen Krankenhaus, antwortete er. Ich habe einen schwerkranken Patienten im Wagen, also halten Sie mich nicht auf.
    An Kontrollpunkten machten ihm die Polizisten den Weg frei. Ein Beamter hielt sogar aus Rücksicht auf den Verletzten den entgegenkommenden Verkehr an. Die Geste erwies sich jedoch als überflüssig, denn Pendel fuhr an der Abzweigung zum Krankenhaus vorbei und weiter geradeaus nach Norden, den Weg zurück, den er gekommen war, Richtung Chitré, wo die Garnelen ihre Eier in die Stämme der Mangroven legten, und Sarigua, wo Orchideen kleine Prostituierte waren. Auf der Hinfahrt hatte dichter Verkehr geherrscht, erinnerte er sich, jetzt, als er Guararé verließ, überhaupt keiner. Sie fuhren allein unterm Neumond und einem klaren Himmel, nur Mickie und er. Als er rechts nach Sarigua abbog, rannte plötzlich eine Schwarze ohne Schuhe und mit panischer Miene neben ihm her und bat flehentlich, mitgenommen zu werden, und er fühlte sich sehr gemein, weil er sie nicht einsteigen ließ. Aber wie er bereits in Guararé festgestellt hatte, nehmen Spione mit gefährlichen Aufträgen keine Anhalter mit, und so fuhr er weiter und sah, je höher er kam, daß der Boden immer heller wurde.
    Er kannte die Stelle genau. Mickie hatte wie Pendel das Meer geliebt. Und als Pendel auf sein Leben zurückblickte, kam ihm jetzt reichlich spät die Erkenntnis, daß in der Tat das Meer der beruhigende Einfluß auf seine zahlreichen kriegführenden Götter gewesen war – deshalb war Panama so besonders zuträglich für ihn gewesen, jedenfalls in seinem Leben vor Osnard. »Harry, mein Junge, was ist schon Hongkong, was ist London, was ist Hamburg«, hatte Benny feierlich erklärt, als er ihm an einem Besuchstag in einem Taschenatlas den Isthmus gezeigt hatte: »Wo sonst in der Welt kannst du in einen Bus steigen und auf der Hinfahrt die Chinesische Mauer und auf der Rückfahrt den Eiffelturm sehen?« Aber Pendel hatte aus seinem Zellenfenster weder das eine noch das andere gesehen. Sondern nur, in unterschiedlichem Blau, auf jeder Seite ein Meer, und Fluchtmöglichkeiten in beide Richtungen.
    Eine Kuh stand mit gesenktem Kopf auf der Straße vor ihm. Pendel bremste. Mickie rutschte blöde nach vorn und blieb mit dem Hals im Gurt hängen. Pendel befreite ihn und ließ ihn auf den Boden gleiten. Mickie, ich rede mit dir. Ich habe doch gesagt, es tut mir leid. Die Kuh gab widerwillig den Weg frei. Grüne Schilder wiesen ihn in ein Naturschutzgebiet. Dort gab es diese alte Indiosiedlung, erinnerte er sich, dort gab es hohe Dünen und diese weißen Felsen, die, wie Hannah erzählt hatte, aus an Land gespülten Muscheln bestanden. Und dann kam der Strand. Die Straße wurde zum Pfad, der Pfad verlief schnurgerade wie eine Römerstraße, von hohen Hecken gesäumt, die Mauern glichen. Manchmal legten die Hecken über ihm die Hände zusammen und beteten. Manchmal wichen sie zurück und zeigten ihm einen stillen Himmel, wie er nur über einem ruhigen Meer zu sehen ist. Der Neumond gab sich Mühe, größer zu erscheinen als er wirklich war. Zwischen den Spitzen der hauchdünnen Sichel hatte

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