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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Wand zu sein. Er hob den Kopf und blinzelte im Anproberaum umher, erwachte darin nach seiner ersten Nacht. Eins von Bennys rätselhafteren Geständnissen fiel ihm ein, und plötzlich glaubte er, es zu verstehen:
    Harry , das Dumme bei mir ist , wo auch immer ich hingehe , komme auch ich selbst hin und verpfusche die Sache .
    »Was sind Sie eigentlich?« fragte Pendel, in dem sich allmählich Trotz regte.
    »Ich bin ein Spion. Ich spioniere für das gute alte England. Wir wollen Panama neu aufbauen.«
    »Wozu?«
    »Sag ich Ihnen beim Essen. Wann machen Sie freitags den Laden zu?«
    »Jetzt gleich, wenn ich will. Komisch, daß Sie das noch fragen müssen.«
    »Können wir zu Ihnen nach Hause? Kerzen. Kiddush . Ich richte mich ganz nach Ihnen.«
    »Nein, nein. Wir sind Christen. Wo’s am meisten weh tut.«
    »Sie sind doch Mitglied im Club Unión?«
    »So grade.«
    »Wie, so grade?«
    »Ich mußte erst die Reisfarm kaufen, bevor ich dort Mitglied werden konnte. Orientalische Schneider haben da keinen Zutritt, irische Farmbesitzer schon. Vorausgesetzt, sie können die fünfundzwanzigtausend für die Mitgliedschaft aufbringen.«
    »Warum sind Sie da eingetreten?«
    Zu seinem Erstaunen stellte Pendel fest, daß er jetzt heftiger lächelte als sonst bei ihm üblich. Es war ein irres Lächeln, aufgezwungen womöglich von Verblüffung und Angst, aber trotz allem ein Lächeln, und das erleichterte ihn, als habe er soeben entdeckt, daß er Arme und Beine noch bewegen konnte.
    »Ich will Ihnen was sagen, Mr. Osnard«, erklärte er in einer Anwandlung von Leutseligkeit. »Für mich ist das selbst noch ein ungelöstes Rätsel. Ich bin ein impulsiver Mensch und neige zu Übertreibungen. Das ist meine Schwäche. Mein Onkel Benjamin, den Sie eben erwähnten, hat immer von einer Villa in Italien geträumt. Vielleicht habe ich es getan, um Benny eine Freude zu machen. Vielleicht auch, um Mrs. Porter eins auszuwischen.«
    »Die kenne ich nicht.«
    »Meine Bewährungshelferin. Eine sehr ernste Dame, die davon überzeugt war, daß es mit mir ein schlimmes Ende nehmen würde.«
    »Gehen Sie schon mal im Club Unión essen? Mit einem Gast?«
    »Sehr selten. Nicht bei meinen gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen, um es mal so zu sagen.«
    »Wenn ich nicht zwei, sondern zehn Anzüge in Auftrag geben würde, und wenn ich Zeit zum Essen hätte, würden Sie dann mit mir dort hingehen?«
    Osnard zog sein Jackett an. Laß ihn das ruhig alleine machen, dachte Pendel und bezähmte seinen ewigen Drang, zu Diensten zu sein.
    »Möglich. Kommt darauf an«, antwortete er vorsichtig.
    »Und Sie rufen Louisa an. ›Tolle Neuigkeiten, ich habe einem verrückten Briten zehn Anzüge angedreht und will ihn im Club Unión zum Essen einladen‹.«
    »Möglich.«
    »Wie würde sie darauf reagieren?«
    »Schwer zu sagen.«
    Osnard griff in sein Jackett, zog den braunen Umschlag hervor, den Pendel bereits gesehen hatte, und gab ihn ihm.
    »Fünftausend als Anzahlung auf zwei Anzüge. Quittung ist nicht nötig. Später mehr. Plus ein paar hundert Taschengeld.«
    Da Pendel noch immer die Weste mit verdeckter Knopfleiste trug, schob er den Umschlag in die Gesäßtasche zu seinem Notizbuch.
    »Jeder in Panama kennt Harry Pendel«, sagte Osnard. »Verstecken wir uns, fallen wir erst recht auf. Gehen wir irgendwohin, wo man Sie kennt, kräht kein Hahn danach.«
    Sie standen wieder dicht voreinander. So aus der Nähe leuchtete Osnards Gesicht vor unterdrückter Erregung. Pendel, ohnehin stets leicht beeinflußbar, ließ sich davon anstecken. Sie gingen nach unten, damit er vom Zuschneidezimmer aus Louisa anrufen konnte; Osnard prüfte derweil sein Gewicht an einem zusammengerollten Schirm, den ein Etikett als »Modell, getragen vom Gardekorps der Queen« auswies.
     
    »Das mußt du ganz allein wissen, Harry«, sagte Louisa in Pendels heißes linkes Ohr. Die Stimme ihrer Mutter. Sozialismus und Bibelschule.
    » Was weiß ich, Lou? Was soll ich wissen?« – scherzend, immer auf ein Lachen aus. »Du kennst mich, Lou. Ich weiß gar nichts. Nicht das Geringste.«
    Am Telefon konnte sie Pausen wie Freiheitsstrafen verhängen.
    »Du allein, Harry, mußt wissen, was es dir wert ist, deine Familie abends alleinzulassen, nur weil du in den Club gehen und dich mit irgendwelchen Männern und Frauen amüsieren willst, anstatt dich denen zu widmen, die dich lieben, Harry.«
    Ihre Stimme wurde zärtlich leise, und er bekam schon schreckliche Sehnsucht nach ihr. Aber wie

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