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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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schlugen einander auf die Schultern, debattierten, rannten herum und brüllten sich gegenseitig nieder. Und manche unterbrachen sich dabei, winkten Pendel zu, drückten ihm die Hand oder machten gemeine Witze über seinen Anzug.
    »Ich möchte Ihnen meinen guten Freund Andy Osnard vorstellen, er ist ein Lieblingssohn Ihrer Majestät und kürzlich aus England eingetroffen, um den guten Ruf der Diplomatenschaft wiederherzustellen«, rief er einem Banker namens Luis zu.
    »Das nächstemal einfach nur Andy. Interessiert sowieso keinen«, meinte Osnard, als Luis sich wieder den Mädchen zugewandt hatte. »Irgendwelche größeren Kaliber heute abend? Wer ist denn alles hier? Delgado jedenfalls nicht. Der ist in Japan und schwänzt mit dem Präsidenten die Schule.«
    »Ganz recht, Andy, Ernie ist in Japan. Auf die Weise kommt auch Louisa zu einer kleinen Verschnaufpause. Ich werd nicht mehr! Wen haben wir denn da? Das ist ja vielleicht ein Ding!«
    In Panama wird Kultur durch Klatsch ersetzt. Pendels Blick war auf einen vornehm aussehenden Mann mit Schnurrbart gefallen; er war Mitte fünfzig und befand sich in Gesellschaft einer schönen jungen Frau. Er trug einen dunklen Anzug mit silberner Krawatte. Sie trug schwarze Locken über einer nackten Schulter und ein Diamantkollier, mit dem sie beim Schwimmen untergegangen wäre. Die beiden saßen wie ein Paar auf einem alten Foto aufrecht nebeneinander und ließen sich von Gratulanten die Hände schütteln.
    »Unser tapferer oberster Richter, Andy, wieder unter uns«, antwortete Pendel auf Osnards fragenden Blick. »Erst vor einer Woche sind alle Anklagepunkte gegen ihn fallengelassen worden. Bravo, Miguel.«
    »Einer Ihrer Kunden?«
    »Selbstverständlich, Andy, und ein sehr geschätzter. Ich habe vier noch nicht fertige Anzüge und eine Smokingjacke in diesen Gentleman investiert, und bis vorige Woche war das alles für unseren Neujahrsausverkauf vorgesehen.« Osnard brauchte ihn jetzt nicht mehr zum Weiterreden aufzufordern. »Mein Freund Miguel«, setzte er mit jener Pedanterie hinzu, die uns davon überzeugt, daß jemand es mit der Wahrheit sehr genau nimmt, »mußte vor einigen Jahren erkennen, daß eine gewisse befreundete Dame, für deren Wohlergehen er persönlich Sorge trug, ihre Gunst einem anderen schenkte. Besagter Rivale war natürlich ein Anwaltskollege. Das ist in Panama immer so, und die meisten dieser Leute haben in Amerika studiert, wie ich leider feststellen muß. Jedenfalls hat Miguel reagiert, wie jeder von uns es unter solchen Umständen tun würde: er engagierte einen Killer, der dem Spuk ein Ende gemacht hat.«
    »Ist ja stark. Und wie?«
    Pendel fiel ein Ausdruck ein, den Mark einmal nach Lektüre eines später von Louisa konfiszierten Horrorcomics verwendet hatte. »Bleivergiftung, Andy. Drei fachmännische Schüsse. Einen in den Kopf, zwei in den Körper, und was von ihm übrig war, auf sämtliche Titelseiten verteilt. Der Killer wurde verhaftet, was in Panama höchst ungewöhnlich ist. Und er hat auch gestanden, was, seien wir ehrlich, nicht so ungewöhnlich ist.«
    Er schwieg, erlaubte Osnard ein anerkennendes Lächeln und sich selbst eine schöpferische Pause. Die versteckten Höhepunkte hervorheben, hätte Benny dazu gesagt. Dem rednerischen Talent die Zügel schießen lassen. Dem größeren Publikum zuliebe die Geschichte ausschmücken.
    »Anlaß für die Verhaftung – und für das Geständnis – war ein Scheck über einhunderttausend Dollar, der von unserem Freund Miguel auf den Namen des mutmaßlichen Killers ausgestellt wurde und unter der hier in Panama ziemlich riskanten Annahme eingelöst worden war, das Bankgeheimnis könne Schutz vor neugierigen Blicken bieten.«
    »Und das ist die betreffende Dame«, sagte Osnard mit stiller Anerkennung. »Sieht aus, als hätte sie die Kurve gekriegt.«
    »Ganz recht, das ist sie, Andy, und jetzt mit Miguel im heiligen Stand der Ehe, auch wenn es heißt, daß ihr die damit verbundenen Beschränkungen nicht zusagen. Und heute abend sind Sie Zeuge von Miguels und Amandas triumphaler Rückkehr in die gute Gesellschaft.«
    »Wie hat er das denn hingekriegt?«
    »Nun, erstens einmal, Andy«, erklärte Pendel, erregt von einer Allwissenheit, die weit über seine Kenntnis des Falls hinausging, »spricht man von einem Schmiergeld in Höhe von sieben Millionen, ein Betrag, den unser gelernter Richter sich ohne weiteres leisten kann, schließlich besitzt er ein Transportunternehmen, das mit Hilfe seines in der

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