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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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sich als Fachmann aufzuspielen. Als er sich auf dem Fahrersitz niederließ, hatte er das unbehagliche Gefühl, der Preis betrage eher fünfzehnhundert, und es dauere nicht zwei Jahre, sondern zwei Monate.
    »Soll ich fahren?« fragte Osnard und blickte die Straße rauf und runter.
    Aber Pendel war sein eigener Herr. Vor zehn Minuten noch hatte er sich eingeredet, er werde keinen Schritt mehr allein tun können. Jetzt saß er neben seinem Gefängniswärter hinterm Steuer seines Wagens und trug seinen eigenen graublauen Anzug, nicht mehr die stinkende Jutekluft mit Pendel auf der Tasche.
    »Keine Gefahrenquellen?« fragte Osnard.
    Pendel verstand ihn nicht.
    »Leute, denen Sie nicht begegnen wollen – denen Sie Geld schulden – deren Frauen Sie gevögelt haben und so weiter?«
    »Schulden habe ich nur bei der Bank, Andy. Und das andere mache ich auch nicht, obwohl ich das meinen Kunden gegenüber nie zugeben würde, Latinos sind da nämlich recht eigen. Die würden mich für einen Kastraten halten, oder für schwul.« Er kicherte leicht übertrieben für sie beide, während Osnard in die Rückspiegel spähte. »Wo sind Sie eigentlich her, Andy? Was ist Ihre Heimat? Ihr Vater scheint ja eine große Rolle in Ihrem Leben zu spielen, falls der nicht auch erfunden ist. Hatte er einen Namen? Doch bestimmt.«
    »Er war Arzt«, sagte Osnard ohne zu zögern.
    »Was für einer? Ein bedeutender Gehirnchirurg? Herz-Lungen-Arzt?«
    »Praktischer Arzt.«
    »Und wo hatte er seine Praxis? Irgendwo im Ausland?«
    »Birmingham.«
    »Und die Mutter, wenn ich fragen darf?«
    »Aus Südfrankreich.«
    Und Pendel fragte sich unwillkürlich, ob Osnard, wenn er seinen verstorbenen Vater in Birmingham und seine Mutter an der französischen Riviera ansiedelte, dies mit derselben Hemmungslosigkeit tat wie er selbst, als er den alten Braithwaite in Pinner angesiedelt hatte.
     
    Im Club Unión verbringen die Superreichen von Panama ihr Erdendasein. Entsprechend unterwürfig fuhr Pendel unter dem roten Pagodenvordach vor, so langsam, daß er fast stehenblieb, damit die beiden uniformierten Wächter nur ja bemerkten, daß er und sein Gast weiß und gutbürgerlich waren. Freitagabend gibt es hier Disco für die Kinder der christlichen Millionäre. Am hell erleuchteten Portal quellen mißmutige siebzehnjährige Prinzessinnen und stiernackige Burschen mit goldenen Armkettchen und toten Augen aus glänzenden Geländewagen. Der Eingangsbereich, begrenzt von schweren karmesinroten Tauen, wurde von breitschultrigen Männern bewacht, die Namensschildchen am Revers ihrer Chauffeuruniformen trugen. Während sie Pendel ein vertrauliches Lächeln schenkten, sahen sie Osnard finster an, ließen ihn aber durch. Der Saal drinnen war geräumig und kühl und zum Meer hin offen. Eine mit grünem Teppich belegte Rampe führte auf eine Terrasse mit Balkonen. Dahinter erstreckte sich die Bucht mit ihrer ewigen Prozession von Schiffen, dichtgedrängt wie ein Flottenverband unter schwarzen Gewitterwolken. Das letzte Tageslicht schwand rasch dahin. Zigarettenrauch, kostspielige Düfte und Beatmusik erfüllten den Raum.
    »Sehen Sie den Damm dahinten, Andy?« schrie Pendel und wies mit Besitzergeste nach draußen, während er mit der anderen Hand stolz den Namen seines Gastes ins Buch eintrug. »Ist aus dem ganzen Schutt gebaut, den man aus dem Kanal gebaggert hat. Sorgt dafür, daß die Flüsse nicht das Fahrwasser verschlammen. Die haben schon Bescheid gewußt, unsere Yanqui-Vorfahren«, erklärte er, wobei er sich offenbar mit Louisa identifizierte, denn er selbst hatte ja keine Yanqui-Vorfahren. »Sie hätten mal hier sein sollen, als es noch Freiluftkinos gab. Man sollte es nicht für möglich halten, Freiluftkinos in der Regenzeit. Aber das geht. Wissen Sie, wie oft es in Panama zwischen sechs und acht Uhr abends regnet, ob Regenzeit oder nicht? Durchschnittlich an zwei Tagen pro Jahr ! Da staunen Sie, wie ich sehe.«
    »Wo kriegen wir was zu trinken?« fragte Osnard.
    Aber Pendel mußte ihm noch die neueste, höchst pompöse Errungenschaft des Clubs vorführen: einen geräuschlosen, prächtig getäfelten Aufzug, der altersschwache Erbinnen die drei Meter von einer Etage zur anderen hinauf- und hinabbeförderte.
    »Für ihre Kartenpartien, Andy. Manche von den alten Damen spielen Tag und Nacht. Wahrscheinlich glauben sie, sie können alles mitnehmen.«
     
    In der Bar herrschte Freitag-abend-Fieber. An jedem Tisch winkten und gestikulierten ausgelassene Gäste,

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