Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
Vom Netzwerk:
zurechtzurücken. »Drecksarbeit ist ein völlig falscher Ausdruck. Offiziell ist sie seit drei Monaten die Presseagentin von Ernie Delgado, der früher bei der Anwaltskanzlei Delgado & Woolf war, aber seine Interessen zum Wohle des Volkes aufgegeben hat. Inoffiziell geht es aufgrund der bevorstehenden Übergabe – wenn die Yanquis abziehen und die Panamaer das Ganze übernehmen – bei der Kanalverwaltung dermaßen drunter und drüber, daß Louisa eine der wenigen ist, die klaren Kopf bewahrt und den Leuten sagen kann, wie die Sache steht. Sie macht die Honneurs, sie hält Delgado den Rücken frei, sie übertüncht die Risse. Sie weiß, wo man etwas findet, wenn es da ist, und wer es geklaut hat, wenn es nicht da ist.«
    »Offenbar ein Glücksgriff«, sagte Osnard.
    Pendel platzte schier vor Stolz.
    »Andy, da haben Sie nicht unrecht. Und wenn Sie meine persönliche Meinung hören wollen: Ernie Delgado hat unverschämtes Glück gehabt. Da muß zum Beispiel eine hochrangige Schiffahrtskonferenz vorbereitet werden, aber wo ist das Protokoll von der letzten? Gleichzeitig wartet eine ausländische Delegation auf irgendwelche Auskünfte, und wo sind schon wieder diese japanischen Dolmetscher geblieben?« Doch wieder spürte er den unbezähmbaren Drang, an Ernie Delgados Sockel zu kratzen: »Außerdem ist sie die einzige, die mit Ernie umgehen kann, wenn er einen Kater hat, oder wenn ihm seine Frau mal wieder kräftig den Kopf gewaschen hat. Ohne Louisa wäre Ernie längst erledigt, und sein strahlender Heiligenschein hätte schon lange Rostflecken angesetzt.«
    » Japanische Dolmetscher«, sagte Osnard mit schleppender, nachdenklicher Stimme.
    »Na ja, es könnten auch schwedische, deutsche oder französische sein, nehme ich an. Aber die japanischen werden am häufigsten gebraucht.«
    »Was sind das für Japaner? Sind die von hier? Oder nur zu Besuch? Aus der Wirtschaft? Aus der Politik?«
    »Das weiß ich wirklich nicht, Andy.« Ein albernes, hektisches Kichern. »Für mich sehen die alle ziemlich gleich aus. Aber viele von ihnen dürften Banker sein.«
    »Aber Louisa weiß Bescheid.«
    »Andy, diese Japaner fressen ihr aus der Hand. Ich weiß nicht, was sie an sich hat, aber wenn man sieht, wie sie mit den Delegationen aus Japan umgeht, wie sie sich verbeugt und lächelt und ihnen voranschreitet – das ist wirklich große Klasse.«
    »Bringt sie Arbeit mit nach Hause? Übers Wochenende? Oder am Abend?«
    »Nur wenn’s etwas Dringendes ist, Andy. Meistens am Donnerstag, damit sie fürs Wochenende und die Kinder frei ist, während ich meine Kundschaft unterhalte. Überstunden werden nicht bezahlt, und sie wird ziemlich übel ausgebeutet. Aber immerhin wird sie nach amerikanischem Tarif bezahlt, das macht schon einiges aus, gebe ich zu.«
    »Was macht sie damit?«
    »Mit dem, was sie nach Hause mitnimmt? Daran arbeiten. Abtippen.«
    »Mit dem Kies. Mit dem Gehalt.«
    »Der fließt auf unser gemeinsames Konto, Andy, das hält sie für richtig und angemessen, denn sie ist eine sehr hochgesinnte Frau und Mutter«, erklärte Pendel affektiert.
    Und zu seiner Überraschung spürte er, wie er dunkelrot anlief, und seine Augen füllten sich mit heißen Tränen, bis es ihm irgendwie gelang, sie wieder dorthin zurückzudrängen, wo sie hergekommen waren. Osnard hingegen wurde weder rot, noch schwammen seine schwarzen Knopfaugen in Tränen.
    »Die Ärmste zahlt also Ihre Verpflichtungen bei Ramón ab«, sagte er schonungslos. »Und weiß es noch nicht einmal.«
    Aber falls Pendel sich von dieser harten Feststellung gedemütigt fühlte, war ihm nichts mehr davon anzusehen. Er spähte aufgeregt durch den Raum, auf seiner Miene mischten sich Freude und Erwartung.
     
    »Harry! Mein Freund! Harry! Bei Gott. Ich liebe dich!«
    Ein Riese in magentarotem Jackett kam, gegen Tische stoßend, Gläser umkippend und von zornigen Ausrufen begleitet, auf sie zugetorkelt. Er war noch jung, und trotz der Verheerungen eines beschwerlichen, ausschweifenden Lebens waren ihm noch Reste seines ehemaligen guten Aussehens erhalten geblieben. Pendel war bereits aufgesprungen.
    »Señor Mickie, Sir, ich lieb dich auch, wie geht’s dir denn heute?« fragte er eifrig. »Das ist Andy Osnard, ein Freund von mir. Andy, das ist Mickie Abraxas. Mickie, mir scheint, du siehst ein wenig mitgenommen aus. Warum setzen wir uns nicht?«
    Aber Mickie mußte sein Jackett vorführen, und das konnte er nicht im Sitzen. Die Knöchel auf die Hüften gestützt, die

Weitere Kostenlose Bücher