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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Andy«, flüsterte Pendel ganz leise. »Der äußere Eindruck täuscht, Mickie ist vollkommen anders, das war schon damals so und ist es heute immer noch, wenn ich so sagen darf.«
    Was machte er eigentlich? Was sagte er da? Er wußte es selber kaum. Er war völlig durcheinander. Irgendwo in seinem überreizten Kopf schwirrte die Idee herum, er könne Mickie einen Liebesdienst erweisen, ihn zu etwas aufbauen, das er niemals sein konnte, zu einem Mickie, der auferstanden war, der nicht mehr trank, der beherzt und kämpferisch zu Taten drängte.
    »Was hat er nicht aufgegeben? Kann Ihnen nicht folgen. Reden mal wieder in Rätseln.«
    »Er ist noch dabei .«
    »Wobei?«
    »Bei der Stillen Opposition«, sagte Pendel mit dem Gebaren eines mittelalterlichen Kriegers, der seine Fahne in die feindlichen Reihen schleudert und ihr dann nachstürzt, um sie zurückzuerobern.
    » Wie bitte?«
    »Im heimlichen Widerstand. Er und seine gut eingespielte Gruppe von Glaubensgenossen.«
    »Und woran glauben diese Leute?«
    »An Verstellung, Andy. An den schönen Schein. An das, was unter der Oberfläche ist, will ich mal sagen«, erklärte Pendel, der wie im Fieber nie zuvor erreichte Höhen der Fantasie erklomm. Halb erinnerte Gespräche mit Marta eilten ihm zu Hilfe. »Unser neues blitzsauberes Panama, diese Scheindemokratie, haha. Alles nur Show. Er hat es Ihnen eben selbst gesagt. Sie haben ihn gehört. Betrügen. Intrigieren. Lügen. Heucheln. Zieht man den Vorhang weg, warten dahinter immer noch dieselben, die Wir-wissen-schon-wen in der Tasche hatten, um die Zügel wieder in die Hand zu nehmen.«
    Osnard ließ Pendel keine Sekunde aus den winzigen schwarzen Augen. Es geht um meine Stimmlage, dachte Pendel und suchte schon nach Fluchtwegen vor den Konsequenzen seiner Unbesonnenheit. Nur darum geht es ihm. Nicht um meine Genauigkeit, nur um meine Stimmlage. Ob ich auswendig oder vom Blatt oder aus dem Stegreif singe, interessiert ihn nicht. Wahrscheinlich hört er nicht einmal zu, jedenfalls nicht richtig.
    »Mickie steht in Kontakt mit den Leuten auf der anderen Seite der Brücke«, dichtete er tapfer weiter.
    »Und wer soll das sein?«
    Die Brücke war die Bridge of the Americas. Auch dieser Ausdruck stammte von Marta.
    »Der unsichtbare Kader, Andy«, erklärte Pendel kühn. »Die Kämpfer und die Glaubenden, denen Fortschritt wichtiger ist als Bestechungsgelder«, zitierte er Marta Wort für Wort. »Die Bauern und Handwerker, die von der infamen habsüchtigen Regierung verraten wurden. Der ehrbare Mittelstand. Das anständige Panama, von dem man nie etwas zu sehen oder zu hören bekommt. Sie organisieren sich. Sie haben die Nase voll. Mickie auch.«
    »Und Marta ist auch dabei?«
    »Möglich, Andy. Ich frage sie nicht danach. Es steht mir nicht zu, das zu wissen. Ich denke mir mein Teil. Mehr sage ich nicht.«
    Lange Pause.
    »Die Nase voll. Wovon denn eigentlich genau?«
    Pendel warf einen raschen, verschwörerischen Blick durch den Speisesaal. Er war Robin Hood, Hoffnungsträger der Unterdrückten, Hort der Gerechtigkeit. Am Nebentisch tat sich eine lärmende zwölfköpfige Gesellschaft an Dom Pérignon und Hummer gütlich.
    » Von dem hier «, antwortete er leise und nachdrücklich. » Von denen da . Und von allem , was damit verbunden ist .«
     
    Osnard wollte mehr über die Japaner hören.
    »Tja, die Japaner , Andy – Sie haben soeben einen kennengelernt, deswegen fragen Sie ja wohl danach –, die sind in Panama sehr präsent, so will ich das mal nennen, und zwar schon seit vielen Jahren, seit gut zwanzig Jahren, würde ich sagen«, erklärte Pendel begeistert – dankbar, endlich nicht mehr von seinem einzigen wahren Freund reden zu müssen. »Zur Volksbelustigung gibt’s japanische Umzüge und japanische Blaskapellen, die Japaner haben der Nation einen Markt für Meeresfrüchte geschenkt, und es gibt sogar einen von den Japanern finanzierten Bildungskanal im Fernsehen«, setzte er hinzu und dachte an eine der wenigen Sendungen, die seine Kinder sehen durften.
    »Und wer ist der wichtigste von diesen Japanern?«
    »Als Kunde, Andy? Die Wichtigen kenne ich nicht. Ich kann diese Leute nur als wandelnde Rätsel bezeichnen. Da müßte ich wohl erst Marta fragen. Einmal Maß nehmen, sechsmal verbeugen und ein Foto machen, sagen wir immer, und genau so läuft es meistens tatsächlich ab. Da ist zum Beispiel ein Mr. Yoshio von einer ihrer Handelsmissionen, der ab und zu bei mir im Laden seine Schau abzieht, oder ein

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