Der Schneider
Fingerspitzen nach unten, vollführte er eine groteske Mannequin-Pirouette und mußte sich danach am Tischrand festhalten. Der Tisch schwankte, ein paar Teller krachten auf den Boden.
»Gefällt’s dir, Harry? Bist du stolz darauf?« Er sprach amerikanisches Englisch, sehr laut.
»Mickie, das ist wirklich phantastisch«, sagte Pendel ernst. »Eben habe ich zu Andy gesagt, noch nie habe ich eine bessere Schulterpartie geschnitten; die Jacke steht dir einfach großartig. Stimmt’s, Andy? Warum setzen wir uns nicht zu einem Schwätzchen?«
Aber Mickie hatte jetzt Osnard entdeckt.
»Was sagen Sie dazu, Mister?«
Osnard lächelte gelassen. »Gratuliere. P & B in Hochform. Die Mitte sitzt genau im Zentrum.«
»Scheiße, wer sind Sie?«
»Er ist ein Kunde von mir, Mickie«, sagte Pendel, sehr um Frieden bemüht, wie immer bei Mickie. »Heißt Andy. Das habe ich schon gesagt, aber du hast ja nicht gehört. Mickie war in Oxford, stimmt’s, Mickie? Erzähl Andy mal, auf welchem College du warst. Er ist auch ein großer Fan unserer englischen Lebensart und war mal Vorsitzender unseres englisch-panamaischen Kulturvereins, stimmt’s, Mickie? Andy ist ein sehr einflußreicher Diplomat, stimmt’s, Andy? Er arbeitet in der Britischen Botschaft. Arthur Braithwaite hat seinem Vater die Anzüge gemacht.«
Mickie Abraxas schluckte das alles, jedoch mit wenig Genuß, denn er starrte Osnard finster an, und ihm gefiel nicht, was er sah.
»Wissen Sie, was ich tun würde, wenn ich Präsident von Panama wäre, Mr. Andy?«
»Warum setzt du dich nicht, Mickie, und erzählst es uns?«
»Ich würde uns alle umbringen. Für uns gibt’s keine Hoffnung mehr. Wir sind am Arsch. Wir haben alles, was Gott gebraucht hat, um das Paradies zu erschaffen. Großartiges Ackerland, Strände, Berge, eine unglaubliche Tierwelt, wenn man einen Stock in den Boden steckt, wächst ein Obstbaum raus, die Menschen hier sind so schön, daß einem die Tränen kommen. Und was tun wir? Betrügen. Intrigieren. Lügen. Heucheln. Stehlen. Uns gegenseitig aushungern. Wir führen uns auf, als ob nur für einen selbst noch was übrig wäre. Wir sind so dumm und korrupt und blind, daß ich nicht begreifen kann, warum die Erde uns nicht hier und jetzt verschluckt. Begreife ich wirklich nicht. Wir haben die Erde in Colón an die Scheißaraber verkauft. Wollen Sie das der Queen ausrichten?«
»Kann’s kaum erwarten«, sagte Osnard freundlich.
»Mickie, ich werde gleich sauer, wenn du dich nicht endlich hinsetzt. Du fällst schon unangenehm auf und bringst mich in Verlegenheit.«
»Ich denke, du liebst mich?«
»Aber natürlich. Und jetzt sei brav und setz dich.«
»Wo ist Marta?«
»Zu Hause, nehme ich an, Mickie. In El Chorillo, wo sie wohnt. Sitzt wahrscheinlich über ihren Büchern.«
»Ich liebe diese Frau.«
»Das höre ich gern, Mickie, und Marta hört es sicher auch gern. Jetzt setz dich.«
»Du liebst sie auch.«
»Wir lieben sie beide, Mickie, jeder auf seine Weise«, antwortete Pendel, ohne direkt rot zu werden, aber mit einem unangenehmen Kloß im Hals. »Und nun sei so nett und setz dich. Bitte.«
Mickie packte Pendels Kopf mit beiden Händen und flüsterte ihm feucht ins Ohr: »Dolce vita beim großen Rennen nächsten Sonntag, hörst du? Rafi Domingo hat die Jockeys gekauft. Alle, hörst du? Sag’s Marta. Da kann sie reich werden.«
»Mickie, ich höre dich laut und deutlich, und Rafi war noch heute morgen bei mir im Laden, aber du nicht, schade eigentlich, denn deine schöne neue Smokingjacke wartet nur darauf, von dir anprobiert zu werden. Und jetzt sei so lieb und setz dich, bitte .«
Aus den Augenwinkeln sah Pendel am Rand des Saals zwei große Männer mit Namensschildchen zielstrebig auf sie zukommen. Er legte beschützend einen Arm halb um Mickies kolossale Schultern.
»Mickie, wenn du jetzt noch mehr Theater machst, nähe ich nie mehr einen Anzug für dich«, sagte er auf Englisch. Und auf Spanisch zu den beiden Männern: »Bei uns ist alles in Ordnung, ich danke Ihnen, meine Herren. Mr. Abraxas wird das Haus freiwillig verlassen. Mickie?«
»Was denn?«
»Hast du gehört, Mickie?«
»Nein.«
»Wartet dein sympathischer Fahrer Santos draußen mit dem Wagen?«
»Wen kümmert das?«
Pendel nahm Mickie beim Arm und führte ihn behutsam unter der verspiegelten Decke durch den Speisesaal ins Foyer, wo Santos der Fahrer besorgt auf seinen Herrn wartete.
»Schade, daß Sie ihn nicht in Hochform erlebt haben, Andy«, sagte
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