Der Schneider
Pendel verlegen. »Mickie ist einer der wenigen wahren Helden Panamas.«
Dann gab er mit abwehrendem Stolz freiwillig einen kurzen Abriß von Mickies Lebensgeschichte: Der Vater, ein aus Griechenland eingewanderter Reeder, war eng mit General Omar Torrijos befreundet und deshalb bereit, seine geschäftlichen Interessen hintanzusetzen und sich mit ganzer Kraft dem Panamaischen Drogenhandel zu widmen, den er zu etwas aufbaute, das im Krieg gegen den Kommunismus jedermann zur Ehre gereicht haben würde.
»Redet der immer so?«
»Na ja, es ist nicht alles Gerede , möchte ich mal sagen. Mickie hatte großen Respekt vor seinem Vater, Torrijos war ganz nach seinem Geschmack, im Gegensatz zu Wir-wissen-schon-wer«, erklärte er, der harten Landessitte folgend, Noriega nicht beim Namen zu nennen. »Eine Tatsache, die Mickie jedem unverblümt unter die Nase gerieben hat, bis Wir-wissen-schon-wem der Kragen geplatzt ist und er ihn hat einbuchten lassen, um ihn zum Schweigen zu bringen.«
»Und was sollte das Gefasel über Marta?«
»Ja nun, sehen Sie, das ist eine alte Geschichte, Andy, ein Überbleibsel von früher, könnte man sagen. Von damals, als die beiden gemeinsam für ihre Sache gekämpft haben. Marta als Tochter eines schwarzen Handwerkers, er als verzogener reicher Bengel, aber Schulter an Schulter für die Demokratie, könnte man sagen«, antwortete Pendel und lief sich selbst davon, um das Thema so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. »In diesen Zeiten sind seltsame Freundschaften geschlossen worden. Feste Bande. Ganz wie er gesagt hat. Die beiden haben sich geliebt. Und warum auch nicht.«
»Ich dachte, er hat von Ihnen geredet.«
Pendel legte noch einen Zahn zu.
»Nur sind die Gefängnisse hier ein bißchen mehr Gefängnis als die in der alten Heimat, Andy, wenn ich so sagen darf. Nicht daß ich die englischen Gefängnisse herabsetzen will, ganz und gar nicht. Jedenfalls hat man Mickie mit einer beträchtlichen Anzahl nicht allzu sensibler Schwerverbrecher zusammengesperrt, zwölf oder mehr pro Zelle, und immer wieder hat man ihn, falls Sie mir folgen können, in andere Zellen verlegt, was Mickies Gesundheit durchaus nicht zuträglich war, und was war er damals noch für ein gutaussehender junger Mann«, sagte er verlegen. Er schwieg einen Augenblick, um Mickies verlorener Schönheit zu gedenken, und Osnard war so taktvoll, ihn nicht dabei zu stören. »Und ein paarmal haben sie ihn bewußtlos geschlagen, weil er sie gereizt hat.«
»Haben Sie ihn mal besucht?« fragte Osnard gleichgültig.
»Im Gefängnis, Andy? Ja. Ja, habe ich.«
»War bestimmt mal was anderes, so auf der anderen Seite des Gitters.«
Mickie, zur Vogelscheuche abgemagert, das Gesicht von Schlägen verquollen, das Entsetzen noch in den Augen. Mickie in verschlissenen orangefarbenen Lumpen, kein Maßschneider erreichbar. Nässende rote Blasen an den Fußknöcheln, mehr noch an den Handgelenken. Wer Ketten trägt, muß lernen, sich nicht zu winden, wenn er geschlagen wird, aber das zu lernen braucht Zeit. Mickie, wie er flüsterte: »Harry, hilf mir, um Gottes willen, Harry, hol mich hier raus.« Und Pendel, ebenso leise: »Mickie, du mußt dich kleinmachen, verstehst du, du darfst denen nicht in die Augen sehen.« Beide konnten einander nicht hören. Es blieb nichts zu sagen als Hallo und Bis später.
»Und was treibt er jetzt?« fragte Osnard, als habe er bereits genug von dem Thema. »Abgesehen davon, daß er sich zu Tode trinkt und den Leuten hier auf die Nerven geht?«
»Mickie?« fragte Pendel.
»Wer sonst?«
Und wie er vorhin, von irgendeinem Teufelchen gezwungen, Delgado zum Strolch erklärt hatte, stilisierte er nun Abraxas zum modernen Helden hoch: Wenn dieser Osnard meint , er kann Mickie abschreiben , ist er auf dem Holzweg , und zwar gewaltig . Mickie ist mein Freund , mein Mitstreiter , mein Bruder , mein Zellengenosse . Man hat Mickie die Finger gebrochen und die Eier zerquetscht . Und während du in deiner netten englischen Privatschule mit deinen Freunden Bockspringen gespielt hast , ist er von perversen Sträflingen vergewaltigt worden .
Pendel warf verstohlene Blicke durch den Speisesaal, ob sie auch keine Zuhörer hatten. Am Nebentisch nahm gerade ein dickköpfiger Mann vom Oberkellner ein großes weißes Telefon entgegen. Er sprach hinein, dann nahm der Oberkellner es wieder zurück und reichte es wie einen Wanderpokal dem nächsten bedürftigen Gast.
»Mickie hat noch längst nicht aufgegeben,
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