Der Schneider
außer seinen eigenen mißtraute. »Ich muß schon sagen, aus diesen Büchern lernst du ja wirklich eine Menge. Du hörst dich an wie eine richtige kleine Professorin, dabei hast du noch nicht mal Examen gemacht.«
Sie drängte ihn nie, deshalb hatte er auch keine Bedenken, zu ihr zu gehen. Sie schien zu wissen, daß er bei keinem die Wahrheit sagte, daß er aus Höflichkeit alles für sich behielt. Das wenige, das er ihr anvertraute, war daher für sie beide um so kostbarer.
»Was macht Osnard?«
»Was soll er machen?«
»Warum glaubt er, dich in der Hand zu haben?«
»Er weiß einiges«, antwortete Pendel.
»Über dich?«
»Ja.«
»Weiß ich das auch?«
»Wohl kaum.«
»Ist es etwas Schlimmes?«
»Ja.«
»Ich tue alles, was du willst. Ich helfe dir, wobei auch immer. Wenn ich ihn töten soll, töte ich ihn und gehe ins Gefängnis.«
»Für das andere Panama?«
»Für dich.«
Ramón Rudd besaß Anteile an einem Kasino in der Altstadt, und er ging gern dorthin, um sich zu entspannen. Sie hockten auf einer Plüschbank und beobachteten Frauen mit nackten Schultern und Croupiers mit verquollenen Augen, die an den leeren Roulettetischen saßen.
»Ich bezahle die Schulden, Ramón«, sagte Pendel. »Kapital, Zinsen, alles. Ich mache reinen Tisch.«
»Wie denn das?«
»Sagen wir, ich habe einen verrückten Millionär kennengelernt.«
Ramón trank mit einem Strohhalm etwas Zitronensaft.
»Ich kaufe Ihnen Ihre Farm ab, Ramón. Sie ist zu klein, sie wirft nichts ab, und Sie kümmern sich nicht darum. Sie kümmern sich nur darum, mich zu schröpfen.«
Rudd betrachtete sich eingehend im Spiegel und blieb ungerührt von dem, was er sah.
»Haben Sie irgendwo ein anderes Geschäft laufen? Etwas, wovon ich nichts weiß?«
»Wenn’s nur so wäre, Ramón.«
»Etwas Inoffizielles?«
»Auch nichts Inoffizielles, Ramón.«
»Denn wenn es so wäre, müßte ich schon was Genaueres wissen. Ich leihe Ihnen Geld, und folglich sagen Sie mir, was für ein Geschäft das ist. Alles andere ist unmoralisch. Unfair.«
»Offen gesagt, Ramón, ich bin heut abend nicht gerade in moralischer Stimmung.«
Rudd dachte darüber nach, und es schien ihn wenig glücklich zu machen.
»Sie haben einen verrückten Millionär gefunden, also zahlen Sie mir dreitausend pro Acre«, sagte er, ein anderes unabänderliches Moralgesetz zitierend.
Pendel handelte ihn auf zweitausend runter und ging nach Hause.
Hannah hatte Fieber.
Mark wollte Tischtennis über zwei Gewinnsätze spielen.
Das für die Wäsche zuständige Dienstmädchen war mal wieder schwanger.
Die Putzfrau beklagte sich, der Gärtner habe ihr einen Antrag gemacht.
Der Gärtner behauptete hartnäckig, mit siebzig habe er ein verdammtes Recht darauf, jeder Frau, die er sich aussuche, einen Antrag zu machen.
Der heilige Ernesto Delgado war aus Tokio zurückgekehrt.
Als Harry Pendel am nächsten Morgen den Laden betritt, inspiziert er finster seine Reihen, zunächst die Kuna-Näherinnen, dann die italienischen Hosenschneiderinnen, die chinesischen Jackettschneiderinnen und schließlich Señora Esmeralda, eine ältere Mulattin mit roten Haaren, die von morgens bis abends nichts als Westen macht und damit zufrieden ist. Wie ein großer Kommandeur am Vorabend der Schlacht wechselt er mit allen ein paar ermutigende Worte, doch Ermutigung braucht nur er, nicht seine Truppe. Heute ist Zahltag, und sie sind alle gut gelaunt. Dann schließt Pendel sich im Zuschneidezimmer ein, rollt auf dem Tisch zwei Meter braunen Papiers aus, legt das aufgeschlagene Notizbuch auf den dafür vorgesehenen Ständer und skizziert, vom klagenden Gesang Alfred Dellers begleitet, sachte die Umrisse des ersten von Andrew Osnards zwei Alpaka-Anzügen aus dem Hause Pendel & Braithwaite Co., Limitada, Hofschneider, ehemals Savile Row.
Der in Affären gereifte Mann, groß im Abwägen von Argumenten und kühl im Bewerten von Situationen, nimmt die Abstimmung mit der Schere vor.
7
Botschafter Maltbys freudlose Ankündigung, daß demnächst ein Mister Andrew Osnard – hieß so nicht ein Vogel? fragte er sich – das Personal der Britischen Botschaft in Panama verstärken werde, löste bei Nigel Stormont, dem gutherzigen Leiter der Kanzlei, erst Zweifel, dann Befürchtungen aus.
Jeder normale Botschafter hätte seinen Kanzleichef natürlich vorher beiseite genommen. Schon aus Höflichkeit: »Ach, Nigel, ich denke, Sie sollten es als erster erfahren …« Aber nach einem Jahr miteinander waren sie
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