Der Schneider
über das Stadium selbstverständlicher Höflichkeit längst hinaus. Außerdem bildete sich Maltby einiges auf seine komischen kleinen Überraschungen ein. Und daher verschwieg er die Neuigkeit bis zur montagmorgendlichen Dienstbesprechung, die allerdings für Stormont insgeheim den Tiefpunkt jeder Arbeitswoche darstellte.
Maltbys Zuhörer – eine schöne Frau und drei Männer, darunter Stormont – saßen im Halbkreis auf Chromstühlen vor seinem Schreibtisch. Maltby, ihnen gegenüber, wirkte wie der Angehörige einer größeren, ärmeren Rasse. Er war knapp fünfzig und über einsneunzig, hatte eine kümmerliche schwarze Stirnlocke, einen erstklassigen Abschluß in irgend etwas Nutzlosem und ein permanentes Grinsen, das man besser nicht mit einem Lächeln verwechselte. Jedesmal wenn sein Blick auf die schöne Frau fiel, merkte man, daß er sie gern länger angesehen hätte, es aber nicht wagte, denn kaum war sein Blick auf sie gefallen, sah er schon wieder hastig weg, und nur das Grinsen blieb. Das Jackett seines Anzugs hing über der Sessellehne, die Schuppen darauf schimmerten in der Morgensonne. Er trug mit Vorliebe knallbunte Hemden, heute ein quergestreiftes; neunzehn Streifen, schätzte Stormont, der es kaum ertragen konnte, in einem Zimmer mit ihm zu sein.
Maltby entsprach keineswegs dem imposanten Bild des britischen Beamtentums im Ausland, und die Botschaft auch nicht. Kein schmiedeeisernes Eingangstor, keine vergoldeten Säulengänge, keine großartigen Treppen, die unbedarftere Menschen ohne Rechtskenntnisse hätten einschüchtern können. Keine Porträts aus dem 18. Jahrhundert von bedeutenden Männern mit Schärpen. Maltbys Stück vom Britischen Weltreich befand sich im unteren Viertel eines Wolkenkratzers, der Panamas größter Anwaltskanzlei gehörte und mit den Insignien einer Schweizer Bank gekrönt war.
Die Eingangstür zur Botschaft war aus kugelsicherem, mit englischer Eiche furniertem Stahl. Man kam dorthin, indem man in einem geräuschlosen Lift einen Knopf betätigte. Das königliche Wappen in dieser klimatisierten Stille ließ eher an Silikon und Leichenhallen denken. Fenster und Türen waren gegen Angriffe der Iren verstärkt und gegen Angriffe der Sonne getönt. Die reale Welt drang mit keinem Laut hinein. Der stumme Verkehr, die Kräne, die Schiffe, die Altstadt und die Neustadt, die Frauenbrigade in orangefarbenen Jacken, die auf dem Grünstreifen der Avenida Balboa Laub aufsammelte – das alles waren bloß Schaustücke in der Reservatenkammer Ihrer Majestät. Sobald man den exterritorialen britischen Luftraum betreten hatte, blickte man nur noch nach innen, nicht mehr nach draußen.
Bei der Besprechung hatte man kurz über Panamas Chancen diskutiert, dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen beizutreten (für Stormont eine unerhebliche Frage), dann über Panamas Beziehungen zu Kuba (zwielichtige Handelsvereinbarungen, meinte Stormont, hauptsächlich Drogengeschäfte) und die Auswirkung der Wahlen in Guatemala auf die politische Psyche Panamas (Null, wie Stormont dem Ministerium bereits mitgeteilt hatte). Maltby hatte sich – wie jedesmal – über das unerfreuliche Thema Kanal verbreitet; über die Allgegenwart der Japaner und der als Vertreter Hongkongs auftretenden Festlandchinesen; und über gewisse bizarre Gerüchte in der panamaischen Presse, denen zufolge ein französisch-peruanisches Konsortium darauf aus war, den Kanal mit Hilfe französischer Experten und kolumbianischer Drogengelder aufzukaufen. Als man an diesem Punkt angekommen war, schaltete Stormont ab und verlor sich, teils aus Langeweile, teils aus Notwehr, in einer bekümmerten Rückschau auf sein bisheriges Leben:
Stormont, Nigel, geboren vor allzu langer Zeit, nicht sonderlich gute Ausbildung am Shrewsbury and Jesus College in Oxford. Mittelmäßige Noten in Geschichte, wie jeder andere auch; geschieden, wie jeder andere auch: nur daß mein kleiner Seitensprung es zufällig bis in die Sonntagszeitungen gebracht hat. Dann Paddy geheiratet, offiziell Patricia, die unvergleichliche Exfrau eines verehrten Kollegen von der Britischen Botschaft in Madrid, nachdem dieser bei der weihnachtlichen Hausparty versucht hatte, mich mit der silbernen Punschbowle umzubringen; momentan für drei Jahre in einem Kittchen namens Panama, Bevölkerung 2,6 Millionen, ein Viertel davon arbeitslos, die Hälfte unter dem Existenzminimum. Die Personalabteilung unentschlossen, was sie danach mit mir anfangen soll, falls ihr
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