Der Schneider
Verwaltungsratmitglied usw. ernannten. Und ein Klavier aus dem Ghetto.
Binnen Wochen war Pendel, so glaubte er jedenfalls, zu Mr. Blüthners Lieblingssohn geworden und hatte unter den lärmenden Kindern und Enkeln, den stattlichen Tanten und feisten Onkeln und den Dienstboten in ihren pastellgrünen Jacken wie selbstverständlich seinen Platz gefunden. Bei Familienfesten und zum Kiddush erwies sich Pendel als schlechter Sänger, aber niemand störte sich daran. Auf ihrem privaten Golfplatz spielte er wie ein Stümper, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Er planschte mit den Kindern am Strand und jagte mit dem Buggy halsbrecherisch über schwarze Dünen. Er tollte mit den schmutzigen Hunden herum und ließ sie Mangos apportieren, er sah den Pelikanen zu, die im Zickzack übers Meer flogen, und er zweifelte an nichts: am Glauben der Blüthners ebenso wenig wie an der Moralität ihres Reichtums, an den Bougainvilleas, an den tausend verschiedenen Grüns und an der allgegenwärtigen Ehrbarkeit, die bei weitem jeden kleinen Brand überstrahlte, den Onkel Benny vor Jahren in Mr. Blüthners schweren Zeiten gelegt haben mochte.
Und Mr. Blüthners freundliche Fürsorge ging weit über den häuslichen Rahmen hinaus, denn als Pendel seine ersten Schritte als Maßschneider wagte, stellte ihm die Blüthner Compania Limitada für sechs Monate ihr riesiges Textillagerhaus in Colón zur Verfügung, und Blüthner selbst verschaffte ihm die ersten Kunden und öffnete ihm manche Tür. Und als Pendel dem kleinen, runzligen, strahlenden Mr. Blüthner danken wollte, schüttelte der nur den Kopf und sagte: »Bedanken Sie sich bei Ihrem Onkel Benny«, und ließ wie gewöhnlich den Rat folgen: »Suchen Sie sich ein braves Judenmädchen, Harry. Verlassen Sie uns nicht.«
Auch nach der Heirat mit Louisa hörte Pendel nicht auf, Mr. Blüthner zu besuchen, nun allerdings notwendigerweise heimlich. Blüthners Familie wurde sein verborgenes Paradies, ein Heiligtum, das er stets nur allein und unter irgendeinem Vorwand aufsuchen konnte. Im Gegenzug hielt Mr. Blüthner es für angebracht, die Existenz Louisas einfach zu ignorieren.
»Ich habe ein gewisses Liquiditätsproblem, Mr. Blüthner«, gestand Pendel, als sie beim Schach auf der Nordveranda saßen. Es gab auf jeder Seite der Landspitze eine Veranda, so daß Mr. Blüthner immer windgeschützt draußen sitzen konnte.
»Probleme mit der Reisfarm? « fragte Mr. Blüthner.
Sein schmales Kinn war wie aus Stein, außer wenn er lächelte. Und jetzt lächelte er nicht. Seine alten Augen schliefen oft. Sie schliefen auch jetzt.
»Und mit dem Laden«, sagte Pendel errötend.
»Haben Sie etwa eine Hypothek auf den Laden aufgenommen, um die Reisfarm zu finanzieren, Harry?«
»Nun ja, sozusagen, Mr. Blüthner.« Er versuchte es mit Humor. »Und deshalb bin ich jetzt auf der Suche nach einem verrückten Millionär.«
Mr. Blüthner ließ sich beim Nachdenken immer viel Zeit, egal ob er Schach spielte oder um Geld gefragt wurde. Er saß völlig regungslos da, schien nicht einmal zu atmen, während er überlegte. Pendel erinnerte sich an alte Zellengenossen, bei denen es genauso gewesen war.
»Man ist entweder verrückt, oder man ist Millionär«, antwortete Mr. Blüthner schließlich. »Das ist ein Naturgesetz, Harry. Ein Mann muß für seine Träume bezahlen.«
Auf dem Weg zu ihr war er nervös, wie immer; er fuhr die 4th July Avenue hinunter, die früher einmal die Grenze der Kanalzone gebildet hatte. Links unten lag die Bucht. Rechts oben Ancón Hill. Dazwischen der wiederaufgebaute Stadtteil El Chorillo mit dem allzu grünen Flecken Gras an der Stelle, wo früher die comandancia gestanden hatte. Zur Wiedergutmachung hatte man hastig ein paar billige Hochhäuser hingestellt, die in Pastellfarben gestrichen waren. Marta wohnte im mittleren dieser Häuser. Während er behutsam die schmutzige Treppe hochstieg – beim letztenmal war er aus dem Stockdunkeln von oben angepinkelt worden –, bebte das Haus von schrillen Pfiffen und wildem Gelächter wie ein Gefängnis.
»Du kannst reinkommen«, sagte sie feierlich, nachdem sie die Tür aufgeschlossen hatte, alle vier Schlösser.
Sie lagen auf dem Bett, wo sie immer lagen, angekleidet und jeder für sich, Martas kleine trockene Finger lagen gekrümmt in Pendels Hand. Es gab keine Stühle, dazu war zu wenig Platz. Die Wohnung bestand aus einem einzigen winzigen Zimmer, durch braune Vorhänge aufgeteilt in eine Waschnische,
Weitere Kostenlose Bücher