Der Schneider
Einen gewissen Nigel Stormont? Das waren keine Hirngespinste, das war realistisch, auch wenn Paddys Husten ihm tatsächlich sehr große Sorgen machte. Vor fünf Jahren wäre es undenkbar gewesen, daß man irgendeinen namenlosen Emporkömmling von der falschen Seite des Parks – ausgebildet, an Straßenecken herumzustehen und Briefumschläge mit Dampf zu öffnen – als geeigneten Ersatz für einen reinrassigen Botschaftsmitarbeiter von Stormonts Klasse angesehen hätte. Aber das war vor der Verschlankung des Staatshaushalts, vor der lautstark gepriesenen Rekrutierung von Managern aus der Wirtschaft, die den Auswärtigen Dienst am Kragen packen und ins 21. Jahrhundert zerren sollten.
Gott, wie er diese Regierung verabscheute. Klein England, AG. Geleitet von einem Team verlogener Hohlköpfe, die nicht mal in der Lage wären, eine Spielhalle in der hintersten Provinz zu leiten. Konservative, die, um ihre Macht zu konservieren, dem Land die letzte Glühbirne wegnehmen würden. Für die der Staatsdienst ein entbehrlicher Luxus war, entbehrlich wie das Überleben der Welt oder die Volksgesundheit, vom Auswärtigen Dienst schon ganz zu schweigen. Nein. Im gegenwärtigen Klima von Quacksalberei und Schnellschüssen war es ganz und gar nicht undenkbar, daß der Posten des Leiters der Kanzlei in Panama für überflüssig erklärt wurde, und Nigel Stormont gleich mit.
Warum zwei , wenn’s auch einer tut? hörte er das Protestgeschrei der Berater von Planung & Anwendung, die selbst garantiert fünfunddreißigtausend im Jahr dafür einstrichen, daß sie einmal die Woche zusammenkamen. Was brauchen wir einen für die saubere und einen anderen für die Drecksarbeit? Warum bringen wir nicht beides unter einen Hut? Wir fliegen diesen Osnard ein . Und sobald er die Sache im Griff hat , fliegen wir diesen Stormont aus . Eine Stelle eingespart ! Einen Arbeitsplatz wegrationalisiert ! Und dann leisten wir uns erst mal ein gutes Essen auf Kosten des Steuerzahlers .
Die Personalabteilung wäre begeistert. Maltby auch.
Stormont durchstöberte die Regale in seinem Zimmer. Im Who’s Who gab es keinen einzigen Osnard. Im Debrett’s auch nicht. Und in Die Vögel Großbritanniens , nahm er an, schon gar nicht. Das Londoner Telefonbuch sprang von Osmotherly direkt zu Osner. Aber es war bereits vier Jahre alt. Er blätterte in ein paar alten Rotbüchern des Außenministeriums herum, suchte in den Einträgen der Botschaften spanischsprechender Länder nach einer Spur von Osnards Vorleben. Nichts zu finden. Nichts Festes, nichts Flüchtiges. Er sah im Telefonverzeichnis von Whitehall unter Planung & Anwendung nach. Maltby hatte recht. Ein solches Gremium gab es nicht. Er rief Reg, den Verwaltungsreferenten, an und sprach mit ihm über die verflixte undichte Stelle im Dach seiner Mietwohnung.
»Immer wenn es regnet, muß Paddy mit Puddingschalen im Gästezimmer herumrennen, Reg«, beschwerte er sich. »Und es regnet verdammt oft.«
Reg lebte mit einer panamaischen Friseuse namens Gladys zusammen. Niemand hatte Gladys bisher gesehen, und Stormont vermutete, daß sie ein Junge war. Zum fünfzehntenmal diskutierten sie über den Bankrott der Baufirma, den anstehenden Prozeß und das wenig hilfreiche Verhalten der panamaischen Protokollabteilung.
»Reg, wie sieht es mit einem Büro für Mr. Osnard aus? Sollten wir das nicht mal besprechen?«
»Ich wüßte nicht, was es da noch zu besprechen gäbe, Nigel. Der Botschafter hat mir seine Anweisungen erteilt, und das wär’s.«
»Und was für Anweisungen haben Seine Exzellenz zu erlassen geruht?«
»Er bekommt den Ostflügel, Nigel. Komplett. Gestern sind per Kurier die neuen Schlösser für seine Stahltür eingetroffen, die Schlüssel bringt Mr. Osnard selbst mit. In das alte Wartezimmer kommen Stahlschränke für seine Papiere, die Kombinationen stellt Mr. Osnard persönlich ein, schriftliche Aufzeichnungen werden nicht angefertigt, als ob wir das jemals tun würden. Und ich soll ihm jede Menge Mehrfachsteckdosen für seine ganze Elektronik besorgen. Er kann nicht zufällig kochen?«
»Ich weiß nicht, was er kann, Reg, aber Sie wissen’s doch bestimmt.«
»Na ja, am Telefon macht er einen sehr netten Eindruck, Nigel, möchte ich mal sagen. Wie einer von der BBC, nur menschlicher.«
»Was soll das denn heißen?«
»Als erstes ging es um sein Auto. Er will einen Leihwagen nehmen, bis er seinen eigenen hat, und den soll ich ihm besorgen; er hat mir seinen Führerschein
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