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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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die Nase. Am Gürtel der Jungfrau ertönte ein Piepser. Er war allein.
    Riesige Lücken in seinem Programm . Finden Sie heraus , was er in den fehlenden Stunden gemacht hat .
     
    Und blieb allein, stand da und klammerte sich an seinen Koffer. Die gelb bezogenen Stühle an den Wänden waren zu zierlich, als daß ein Sträfling darauf hätte Platz nehmen dürfen. Wenn einer kaputtginge! Sofort zurück ins Gefängnis! Tage werden zu Wochen, aber wenn Harry Pendel eines weiß, dann dies: wie man Zeit herumkriegt. Wenn es sein muß, wird er hier mit dem Koffer in der Hand für den Rest seines Lebens stehen und darauf warten, daß sein Name aufgerufen wird.
    Hinter ihm wurde eine große Flügeltür aufgestoßen. Ein Sonnenstrahl fiel in den Raum, begleitet von hastigen Schritten und harten Männerstimmen. Sorgfältig bedacht, jede respektlose Bewegung zu vermeiden, duckte sich Pendel unter einen feisten Gouverneur aus der kolumbianischen Periode und machte sich klein, bis er einer Wand glich, von der sich ein Koffer abhob.
    Der anrückende Haufen war zwölf Mann stark und polyglott. Spanische, japanische und englische Satzfetzen übertönten das Getrappel drängender Schritte auf dem Parkett. Der Trupp bewegte sich im Politikertempo: viel Hektik und Umstände, dazu ein Geschnatter wie von Schulkindern, die endlich aus der Stunde Nachsitzen entlassen sind. Einheitlich in dunkle Anzüge gekleidet, der Tonfall selbstbeweihräuchernd, wie Pendel bemerkte, als die Gruppe in Keilformation herandonnerte. An der Spitze, einen halben Meter über dem Boden, schwebte eine überlebensgroße Verkörperung des Sonnenkönigs persönlich, der Alles Erfüllende, der Leuchtende, der Göttliche Herr der Fehlenden Stunden, der ein schwarzes Jackett und gestreifte Hosen von P & B und ein Paar schwarze kalbslederne Straßenschuhe aus dem Hause Ducker trug.
    Ein rosiger Hauch, teils heiligmäßig, teils gastronomisch, lag auf den Wangen des Präsidenten. Sein voller Haarschopf war silberweiß, die Lippen schmal und rosa und feucht, wie frisch von der Mutterbrust gerissen. Die hübschen kornblumenblauen Augen strahlten im Nachglanz erfolgreich geführter Verhandlungen. Vor Pendel angekommen, hielt der ganze Haufen ungeordnet an, und es kam zu einigem Hin und Her und Geschiebe in den Reihen, bis wieder eine gewisse Ordnung hergestellt war. Seine Erhabenheit tat einen Schritt nach vorn und drehte sich zu den Gästen um. Ein Berater mit dem Namensschild Marco stellte sich an die Seite seines Herrn. Zu ihnen trat eine Jungfrau in Pfadfinderuniform. Sie hieß nicht Helen, sondern Juanita.
    Einer nach dem anderen wagten sich die Gäste vor und reichten dem Unsterblichen die Hand zum Abschied. Seine Prächtigkeit hatte für jeden ein aufmunterndes Wort. Wenn er jedem ein schön verpacktes Geschenk mit auf den Heimweg gegeben hätte, wäre Pendel nicht überrascht gewesen. Unterdessen wird der große Spion von Ängsten wegen des Inhalts seines Koffers gequält. Was, wenn die Näherinnen den falschen Anzug eingepackt haben? Er sieht sich, wie er den Deckel aufklappt und Hannahs Phantasiekostüm zum Vorschein kommt, das die Kuna-Frauen für Carlita Rudds Geburtstagsfeier zusammengestellt haben: ein geblümter Glockenrock, ein Rüschenhut und blaue Pantalons. Er möchte unbedingt noch einmal nachsehen, traut sich aber nicht. Die Verabschiedungen gingen weiter. Zwei der Gäste waren Japaner und entsprechend klein. Der Präsident war es nicht. Bei ihnen mußte er sich bücken.
    »Also abgemacht. Am Samstag auf dem Golfplatz«, versprach Seine Hoheit in dem neutralen Tonfall, den seine Kinder so liebten. Ein japanischer Gentleman bog sich jäh vor Lachen.
    Andere Glückliche wurden auserwählt – »Marcel, danke für Ihre Unterstützung, wir sehen uns dann in Paris! Paris im Frühling!« – »Don Pablo, vergessen Sie nicht, Ihren erlauchten Präsidenten von mir zu grüßen, und sagen Sie ihm, ich würde das Gutachten seiner Nationalbank zu schätzen wissen« –, bis der letzte der Gruppe gegangen, die Tür geschlossen, der Lichtstrahl verschwunden und außer Seiner Unermeßlichkeit niemand mehr übrig war als ein salbungsvoller Berater namens Marco und die Jungfrau Juanita. Und eine Wand mit einem Koffer.
    Das Trio wandte sich um und schritt mit dem Sonnenkönig in der Mitte durch den Raum. Ziel war das Allerheiligste des Präsidenten. Die Türen dazu befanden sich keinen Meter von Pendel entfernt. Er setzte ein Lächeln auf und machte, den Koffer in der

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