Der Schneider
gesagt, zu einer großen Vision gehören gewisse Komponenten.«
»Ja, Sir.«
»Eine davon ist Augenmaß. Schicken Sie mir kein wertloses Zeug. Keinen faulen Zauber. Kein ›Hier, Scottie, nehmen Sie diesen Sack voll Knochen und sehen Sie zu, was Ihre Analytiker daraus machen‹. Können Sie mir folgen?«
»Nicht ganz, Sir.«
»Unsere Analytiker sind Idioten. Betrachten nichts im Zusammenhang. Sehen nicht, wenn sich etwas abzeichnet. Man erntet nur, was man gesät hat. Das verstehen Sie doch? Ein guter Agent ertappt Geschichte auf frischer Tat. Von irgendeinem kleinen Angestellten in der dritten Etage, dem seine Hypothek Kopfschmerzen macht, können wir nicht erwarten, daß er Geschichte auf frischer Tat ertappt. Hab ich recht? Wer Geschichte auf frischer Tat ertappen will, muß Visionen haben. Richtig?«
»Ich werde mein Bestes tun, Sir.«
»Enttäuschen Sie mich nicht, Andrew.«
»Ich werde mir Mühe geben, Sir.«
Aber hätte Luxmore sich in diesem Augenblick zufällig umgedreht, würde er zu seiner Überraschung bemerkt haben, daß Osnards Haltung durchaus nicht der Demut in seiner Stimme entsprach. Ein triumphierendes Lächeln lag auf dem treuherzigen jungen Gesicht, und seine Augen funkelten vor Gier. Koffer packen, das Auto verkaufen, einem halben Dutzend Freundinnen ewige Treue schwören: von all diesen Dingen im Zusammenhang mit seiner Abreise einmal abgesehen, unternahm Andrew Osnard auch etwas, was man von einem jungen Engländer, der auszieht, seiner Königin in fernen Landen zu dienen, normalerweise nicht erwartet. Über einen entfernten Verwandten in Westindien eröffnete er, nachdem er sich vergewissert hatte, daß die betreffende Bank eine Filiale in Panama City hatte, ein Nummernkonto auf Grand Cayman.
13
Osnard bezahlte den schrottreifen Pontiac und trat in die Nacht hinaus. Die prickelnde Stille und die gedämpfte Beleuchtung erinnerten ihn an das Ausbildungslager. Er schwitzte. Wie immer in diesem verfluchten Klima. Die Unterhose klebte ihm im Schritt. Sein Hemd war naß wie ein Spüllappen. Scheußlich. Auf der nassen Einfahrt knirschten unbeleuchtete Autos an ihm vorbei. Hohe gestutzte Hecken sorgten für zusätzliche Diskretion. Es hatte geregnet und wieder aufgehört. Die Tasche in der Hand, schritt er über den geteerten Vorplatz. Eine zwei Meter große nackte Plastikvenus, von irgendwo innerhalb ihrer Vulva beleuchtet, verbreitete fahles Licht. Er stieß mit dem Fuß an einen Pflanzkübel, fluchte, diesmal auf Spanisch, und gelangte zu einer Reihe Garagen; vor den Eingängen hingen Vorhänge aus Plastikbändern, schwache Glühbirnen erhellten die einzelnen Nummern. Bei Nummer 8 angekommen, schob er die Bänder beiseite, tastete sich zu einem roten Lichtpunkt an der Wand gegenüber vor und drückte darauf: der berühmte Knopf. Eine geschlechtslose Stimme aus dem Jenseits dankte ihm für seinen Besuch.
»Mein Name ist Colombo. Ich habe bestellt.«
»Möchten Sie lieber ein Spezialzimmer, Señor Colombo?«
»Nein, das, was ich bestellt habe. Drei Stunden. Wieviel?«
»Wirklich kein Spezialzimmer, Señor Colombo? Wilder Westen? Arabische Nächte? Tahiti? Fünfzig Dollar mehr?«
»Nein.«
»Einhundertundfünf Dollar, bitte. Angenehmen Aufenthalt.«
»Geben Sie mir eine Quittung über dreihundert«, sagte Osnard.
Ein Summer ertönte, und neben ihm öffnete sich ein beleuchteter Briefkasten. Er legte einhundertundzwanzig Dollar in das rote Maul, dann schnappte es zu. Pause, während das Geld durch einen Detektor geschleust, der Mehrbetrag registriert und die falsche Quittung ausgestellt wurde.
»Beehren Sie uns bald wieder, Señor Colombo.«
Von einem weißen Lichtstrahl halb geblendet, sah er einen knallroten Fußabtreter vor sich auftauchen; die elektronische Tudortür öffnete sich mit einem Klicken. Der Gestank von Desinfektionsmitteln schlug ihm entgegen wie Hitze aus einem Hochofen. Eine unsichtbare Kapelle spielte »O sole mio«. Schweißüberströmt wollte er sich eben nach der Klimaanlage umsehen, als er sie auch schon anspringen hörte. Rosa Spiegel an Wänden und Decke. Eine Versammlung von Osnards, die sich finster anstarrten. Auch der Kopfteil des Bettes war verspiegelt, in der abscheulichen Beleuchtung schimmerte eine knallrote Velours-Tagesdecke. Ein Gratis-Toilettenbeutel mit Kamm, Zahnbürste, drei Parisern und zwei Täfelchen amerikanischer Milchschokolade. Auf dem Bildschirm tummelten sich in irgendeinem Wohnzimmer zwei nackte Matronen und ein
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