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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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fünfundvierzigjähriger Latino mit behaartem Hintern. Osnard suchte nach einem Knopf, um das abzustellen, aber das Stromkabel verschwand einfach in der Wand.
    Mist. Typisch.
    Er setzte sich aufs Bett, machte die schäbige Aktentasche auf und verteilte den Inhalt auf der Decke. Ein Paket unbenutztes Kohlepapier, verpackt wie landesübliches Schreibmaschinenpapier. Sechs Rollen Mikrofilm, versteckt in einer Insektenspraydose. Warum sehen die Tarnvorrichtungen der Zentrale immer so aus, als stammten sie aus Restbeständen der russischen Armee? Ein Mini-Kassettenrecorder, ungetarnt. Eine Flasche Scotch, zum Gebrauch für Kontaktleute und ihre Agentenführer. Siebentausend Dollar in Zwanzigern und Fünfzigern. Ein Jammer, das Geld wegzugeben, man mußte es eben als Startkapital betrachten.
    Und aus seiner Jackentasche zog er das in seiner ganzen unzerstörten Pracht vier Seiten lange Telegramm von Luxmore und breitete es zur bequemen Lektüre vor sich aus. Dann saß er davor, stirnrunzelnd und mit offenem Mund, las einzelne Sätze und lernte sie widerwillig auswendig, wie ein sensibler Schauspieler seinen Text lesen mag: Ich sage das , aber anders; und das sage ich überhaupt nicht; ich tue zwar das , aber auf meine Weise, nicht auf seine. Er hörte ein Auto in Garage Nummer 8 einfahren. Er stand auf, stopfte die vier Seiten des Telegramms in die Tasche zurück und baute sich in der Mitte des Zimmers auf. Er hörte eine Blechtür zuklappen und dachte »Geländewagen«. Er hörte Schritte nahen und dachte »geht wie ein blöder Kellner«; gleichzeitig versuchte er jenseits davon Geräusche zu erhorchen, die möglicherweise feindlich waren. Hat Harry mich verraten? Bringt er ein paar Gorillas mit, die mich festnehmen sollen? Natürlich nicht, aber die Ausbilder haben gesagt, der Klügere denkt nach, also denke ich nach. Es klopfte an die Tür: dreimal kurz, einmal lang. Osnard löste den Riegel und zog die Tür auf, aber nicht ganz. Auf der Schwelle stand Pendel, eine modische Reisetasche im Arm.
    »Du liebe Zeit, was machen die denn da, Andy? Erinnert mich an die Drei Tolinos im Bertram-Mills-Zirkus, wohin mich Onkel Benny manchmal mitgenommen hat.«
    »Herrgott!« zischte Osnard, als er ihn ins Zimmer zerrte. »Konnten Sie das P & B nicht noch größer auf Ihre blöde Tasche malen?«
     
    Stühle gab es nicht, also setzten sie sich aufs Bett. Pendel trug eine panabrisa . Vor einer Woche hatte er Osnard anvertraut, panabrisas würden ihn noch mal ins Grab bringen: Kühl, schick und bequem, Andy, und kosten nur fünfzig Dollar, ich weiß gar nicht, warum ich mich noch bemühe. Osnard kam gleich zur Sache. Das hier war keine zufällige Begegnung zwischen Schneider und Kunde. Es war eine ausgewachsene, erdumspannende Operation, durchgeführt nach dem klassischen Handbuch der Spionageschule.
    »Irgendwelche Schwierigkeiten gehabt, hierherzukommen?«
    »Danke, Andy, alles in Butter. Und wie sieht’s bei Ihnen aus?«
    »Irgendwelches Material dabei, das bei mir besser aufgehoben wäre?«
    Pendel fischte aus einer Tasche seiner panabrisa das verzierte Feuerzeug, dann tastete er nach einer Münze, schraubte damit den Boden ab und schüttelte einen schwarzen Zylinder heraus, den er übers Bett reichte.
    »Es sind nur die zwölf da drauf, Andy, leider, aber ich dachte, Sie sollten sie trotzdem haben. Früher haben wir gewartet, bis ein Film voll war, ehe wir ihn in der Drogerie abgegeben haben.«
    »Ist Ihnen jemand gefolgt, hat Sie jemand erkannt? Ein Motorrad? Ein Auto? Jemand, der Ihnen irgendwie verdächtig vorgekommen ist?«
    Pendel schüttelte den Kopf
    »Was machen Sie, wenn wir gestört werden?«
    »Die Erklärungen überlasse ich Ihnen, Andy. Ich verziehe mich bei frühestmöglicher Gelegenheit und sage meinen Quellen, sie sollen die Köpfe einziehen oder Urlaub im Ausland machen, und Sie warten, daß ich mich mit Ihnen in Verbindung setze, wenn die Operation weitergehen kann.«
    »Wie?«
    »Nach den Vorschriften für den Notfall. Zu den vereinbarten Zeiten von Telefonzelle zu Telefonzelle.«
    Osnard nötigte ihn, die vereinbarten Zeiten aufzusagen.
    »Und wenn das nicht klappt?«
    »Dann haben wir immer noch den Laden, oder, Andy? Wir hätten eigentlich längst einmal die Tweedjacke anprobieren sollen – wenn das kein hieb- und stichfester Vorwand ist! Ist übrigens fantastisch geworden«, fügte er hinzu. »Ich spüre das immer sofort, wenn mir ein Jackett besonders gelungen ist.«
    »Wie viele Briefe haben Sie mir

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