Der Schneider
Seitenansicht, er hat dessen Aussagen vor der Polizei studiert, wenngleich die meisten offensichtlich von seinen Zuhörern erfunden waren, er hat die Gutachten der Psychiater und Sozialhelfer und die Berichte über Pendels Verhalten im Gefängnis gelesen, er hat alles Erreichbare über Louisa und die winzige Binnenwelt der Kanalzone ausgegraben. Wie ein Geisterbeschwörer hat er sich für Pendels psychische Ausstrahlungen und Schwingungen geöffnet, hat ihn so intensiv studiert wie ein Medium die Karte eines undurchdringlichen Dschungels, in dem ein Flugzeug verschwunden sein soll: Ich werde dich finden, ich kenne dich, warte auf mich, das Glück begünstigt nur den Vorbereiteten .
Luxmore denkt nach. Erst vor einer Woche hat er entschieden, daß eben dieser Pendel für die große Mission, die ihm vorschwebt, nicht geeignet ist:
Als mein wichtigster Kontaktmann , Andrew? Als Ihrer? An einem so brisanten Standort? Ein Schneider? Die Obere Etage lacht sich über uns schief .
Und als Osnard, diesmal nach dem Lunch, wenn Luxmore großmütiger gestimmt zu sein pflegt, ihn von neuem bedrängt:
Ich kenne keine Vorurteile , junger Mr . Osnard , und ich respektiere Ihr Urteilsvermögen . Aber diese Burschen aus dem East End sind fähig , einem in den Rücken zufallen . Das liegt ihnen im Blut . Großer Gott , noch sind wir nicht so tief gesunken , daß wir Knastbrüder rekrutieren müssen !
Aber das war vor einer Woche, und die panamaische Uhr tickt immer lauter.
»Vielleicht haben wir ja doch das große Los gezogen«, erklärt Luxmore, als er, an den Zähnen saugend, ein zweitesmal Pendels umfangreiche Akte durchblättert. »Daß wir uns erst einmal anderswo umgesehen haben, war nur vernünftig, o ja. Dafür gibt uns die Obere Etage bestimmt eine gute Note« – das unglaubwürdige Geständnis des jungen Pendel huscht ihm noch einmal durch den Kopf: wie er alles zugegeben und niemanden belastet hat – »wenn man unter die Oberfläche sieht, ist der Mann goldrichtig, genau der Typ, den wir für eine kleine kriminelle Nation brauchen« – er saugt – »während der Falkland-Sache hatten wir mal einen ganz ähnlichen im Hafenviertel von Buenos Aires.« Sein Blick ruht kurz auf Osnard, aber nichts in seinen Augen weist darauf hin, daß er meint, sein Untergebener sei in vergleichbarer Weise für den Umgang mit Kriminellen qualifiziert. »Sie werden ihm hart zusetzen müssen, Andrew. Das sind sehr eigenwillige Burschen, diese Herrenausstatter aus dem East End. Sind Sie dem gewachsen?«
»Ich glaube schon, Sir. Wenn Sie mir hier und da einen Tip geben.«
»Ein Schurke kann uns in diesem Spiel nur nützlich sein, vorausgesetzt, es ist unser Schurke« – Einwanderungspapiere des Vaters, den Pendel nie gekannt hat – »Und seine Frau ist zweifellos von großem Wert« – er saugt – »schon ein Fuß in der Kanalkommission, mein Gott. Und ist die Tochter eines amerikanischen Offiziers, Andrew, das könnte ein stabilisierender Faktor sein. Obendrein ist sie Christin. Unser Gentleman aus dem East End hat sich wahrlich gut versorgt. Unbeeinflußt von religiösen Dingen, hm hm. Eigennutz stets an erster Stelle, wie üblich« – er saugt – »Andrew, allmählich sehe ich hier etwas Gestalt annehmen. Sie werden sich jede seiner Erklärungen dreimal ansehen müssen, den Tip gebe ich Ihnen gratis. Er wird sich ins Zeug legen, einen Riecher und das Geschick haben, aber werden Sie mit ihm fertigwerden? Wer führt wen? Das ist doch das Problem« – kurzer Blick auf Pendels Geburtsurkunde mit dem Namen der davongelaufenen Mutter – »diese Burschen verstehen sich darauf, in die Salons anderer Leute vorzudringen, ganz zweifellos, o ja. Und dabei selbst nicht zu kurz zu kommen. Ich fürchte, Sie werden gleich ins eiskalte Wasser springen müssen. Werden Sie damit fertigwerden?«
»Doch, ich glaube schon.«
»Ich auch, Andrew. Ja. Ein richtig schwieriger Kunde, aber einer von uns, das ist das Entscheidende. Ein geborener Mitläufer, im Knast gestählt, kennt sich aus mit der dunklen Seite des Lebens« – er saugt – »und in den Niederungen des menschlichen Denkens. Es gibt hier Risiken, aber das gefällt mir. Die Obere Etage wird das genauso sehen.« Luxmore klappt den Ordner zu und beginnt wieder, diesmal mit großen Schritten, auf und ab zu gehen. »Wenn wir nicht an seinen Patriotismus appellieren können, machen wir ihm die Hölle heiß und appellieren an seine Habgier. Ich will Ihnen mal was über Kontaktleute
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