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Der Schnupfen

Der Schnupfen

Titel: Der Schnupfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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überwindet unsere Vorurteile. Heute stellen die Physiker Ockhams Redensart auf den Kopf, denn sie behaupten, möglich sei alles, was nicht verboten ist. Alles in der Physik. Und die Mannigfaltigkeit der Zivilisationen ist größer als die physikalische.«
    Gern hätte ich ihm noch länger zugehört, doch wurde ich von Lapidus zu den Ärzten und Biologen entführt. Deren Ansicht war einhellig: Die Angaben reichen nicht aus. Man muß die Hypothese untersuchen, wonach die Serie von Todesfällen die Folge angeborener Eigenschaften eines Organismus ist, der auf irgendeinen Bestandteil der Mikrobiosphäre von Neapel empfindlich reagiert. Man muß zwei Gruppen von Menschen nehmen, jeweils ungefähr vierzig Personen, durch das Los ausgewählte Fünfzigjährige mit pyknischem Körperbau, muß sie in Schwefel baden, an der Sonne bräunen, massieren, schwitzen lassen, ihnen mit Quarzlampen einheizen, sie mit Horrorrilmen ein bißchen erschrecken und mit Pornowaren ein bißchen aufreizen und dann abwarten, bis einer verrückt wird. Dann muß man sich an die Analyse ihrer Erbmasse machen, ihren Stammbaum untersuchen, jähe und ungeklärte Todesfälle in den aufsteigenden Linien erforschen - hier wird der Computer bestimmt vorzügliche Dienst leisten. Die einen sprachen zu mir, die anderen untereinander von der Zusammensetzung des Badewassers und der Luft, von Adrenochromen, von chemogener Schizophrenie auf metabolischer Grundlage, bis Dr. Barth mich befreite, um mich unter die Juristen zu führen. Manche von ihnen stimmten für die Maria, andere für eine unbekannte neuere Organisation, die es nicht eilig habe, die Verantwortung für die geheimnisvollen Todesfälle zu übernehmen. Die Motive? Und aus welchen
    Motiven hat jener Japaner in Rom Serben, Holländer und Deutsche umgebracht? Ein neuseeländischer Tourist, der gegen die Entführung eines australischen Diplomaten in Bolivien protestieren wollte, hat in Helsinki versucht, eine Chartermaschine mit Rompilgern zu entführen. Der Grundsatz des römischen Rechts >id fecit cui prodest< gilt nicht mehr. Nein, wohl doch die Maria, denn jeder Italiener kann Marioso sein, der Verkäufer, der Portier, der Bademeister, der Chauffeur, die heftige Psychose spricht für Halluzinogene, es ist nicht leicht, sie im Restaurant zu verabreichen, aber wo sonst trinkt der Mensch lieber in großen Schlucken ein Erfrischungsgetränk als nach heißem Bad in einer Badeanstalt, wenn er tüchtig geschwitzt hat?
    Die Ärzte, die ich verlassen hatte, traten zu den Juristen, es entbrannte ein Streit um die Glatzen, aus dem sich jedoch nichts ergab. Eigentlich war das ganz amüsant. Gegen ein Uhr verschmolzen die verschiedenen Grüppchen zu einer einzigen lärmenden Versammlung, und beim Sekt ergab sich das Problem des Sex. Die Liste der Medikamente, die bei den Opfern gefunden wurden, muß unvollständig sein. Wieso? Weil die modernen Liebesmittel, die Aphrodisiaka fehlen! Die älteren Herren haben bestimmt welche genommen. Es gibt eine Masse: Topcraft, Bios 6, Dulong, Antipraecox, Orkasfluid, Sex Tonicum, Sanurex Erecta,
    Elixire d’Egypte, Erectovite, Topform, Action Cream, diese Sachkenntnis betäubte und verwirrte mich, weil sie eine Lücke in der Untersuchung aufdeckte - niemand hatte die psychischen Wirkungen solcher Präparate untersucht.
    Sie rieten mir, mich damit zu beschäftigen. Man hätte keines von diesen Mitteln gefunden, bei niemandem? Eben das sei besonders verdächtig. Ein junger Mensch hätte das nicht verborgen gehalten, doch ältere Herren sind bekanntlich verlogen, prüde, sie halten auf den Schein, Sie haben das eingenommen und die Verpackungen vernichtet…
    Es war sehr laut, alle Fenster standen offen, die Sektpfropfen knallten, Barth erschien mal in dieser, mal in jener Tür, spanische Mädchen gingen mit Tabletts umher, eine perlmutt-goldene Blondine, anscheinend Lapidus’ Frau, im Halbschatten gut aussehend, sagte, ich erinnerte sie an einen früheren Freund, die Party war ohne Zweifel gelungen, aber mich erfaßte eine vom Sekt besänftigte Melancholie, weil ich mich enttäuscht fühlte. Keiner dieser sympathischen Heißsporne besaß jenen Funken, jene Kombinationsgabe, der in der Kunst die Inspiration entspricht.
    Die Begabung, aus der Masse der Fakten das Wesentliche herauszufinden. Statt an die Lösung der Aufgaben zu denken, vermehrten sie sie durch Aufstellung neuer. Randy hatte diese Begabung, doch fehlte es ihm an dem Wissen, von dem Barths Haus voll war, leider ohne

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