Der Schnupfen
fokussieren zu können.
Ich blieb bis ganz zum Schluß im Salon, mit den Gastgebern brachte ich die letzten Gäste hinaus, Auto um Auto fuhr ab, ringsum wurde es leer. Alle Fenster des Hauses waren hell erleuchtet, ich jedoch ging mit dem Gefühl nach oben, verloren zu haben, unzufrieden mehr mit mir selbst als mit den anderen. Paris glühte draußen vor dem Fenster jenseits des dunklen Streifens der Gärten und Vorstadtgebäude, aber es überstrahlte den Mars nicht, der in der Aszendenz leuchtete, als hätte jemand einen gelben Punkt über alles gesetzt.
Manchmal haben wir einen Bekannten, mit dem uns keine gemeinsamen Interessen oder besonderen Erlebnisse verbinden, mit dem wir nicht korrespondieren, den wir nur selten und zufällig sehen - und trotzdem hat die Existenz dieses Menschen eine wichtige, wenn auch unklare Bedeutung. In Paris ist für mich der Eiffelturm ein Bekannter dieser Art. Als Symbol interessiert er mich nicht, denn Paris
läßt mich kalt. Daß mir an dem Turm gelegen ist, wurde mir bewußt, als ich eine Zeitungsnotiz über den Plan, ihn abzubrechen, las und erschrak.
Sooft ich in Paris bin, betrachte ich ihn mir aus der Nähe. Nur betrachten, sonst nichts. Zum Abschluß meines Besuchs trete ich unter seine Basis, zwischen die vier Brük-kenbeine, von wo aus man die Bögen sieht, die sie verbinden, das Gitterwerk vor dem Himmel und die altmodisch großen Räder, die die Fahrstühle bewegen. So war es auch am Tag nach der Begrüßungsparty. Der Turm hatte sich nicht verändert, obwohl er von Hochhauskästen umgeben ist.
Der Tag war schön. Ich setzte mich auf eine Bank und überlegte, wie ich mich aus allem zurückziehen könne, denn morgens war ich mit diesem Entschluß aufgewacht. Die Sache, der ich soviel Anstrengungen gewidmet hatte, war mir fremd geworden, sie erschien mir überflüssig und gewissermaßen verlogen. Das heißt, verlogen war mein Eifer für sie. Als wäre ich plötzlich erwacht oder klug geworden, sah ich meine eigene Unreife, denselben Infantilismus, der hinter allen meinen Entschlüssen im Leben stand. Als Achtzehnjähriger beschloß ich aus Draufgängerei, Ranger zu werden, und es gelang mir, den Brückenkopf in der Normandie zu sehen, aber von einer Trage aus, denn unser Lastensegler, den die Flak in der Luft zerstört hatte, warf uns dreißig Mann auf die deutschen Bunker jenseits unseres Ziels, und nach einer Nacht mit gebrochenem Steißbein kam ich in ein englisches Lazarett. Mit dem Mars verhielt es sich eigentlich genauso. Wäre ich von ihm zurückgekehrt, hätte ich ja auch nicht mein Leben lang über ihn nachsinnen können, eher hätte auch mir gedroht, was einem Mondfahrer passiert ist, dem die angebotenen Aufsichtsratssitze der großen Firmen nicht genügten, so daß er sich mit Selbstmordgedanken trug. Einer meiner Kameraden wurde Lei-
ter eines Biervertriebs in Florida; wenn ich eine Flasche Bier in die Hand nehme, sehe ich ihn in engelhaft weißem Raumanzug den Lift betreten; ich habe mich also in diese Affäre gestürzt, um nicht auf seinen Spuren zu wandeln.
Während ich den Eifelturm betrachtete, verstand ich das alles gut. Ein fataler Beruf, reizvoll durch das Versprechen des >großen Schritts der Menschheit<, der, wie Armstrong gesagt hat, >der kleine Schritt eines Menschen, ist, in Wirklichkeit aber ein Höhepunkt, das Apogäum nicht nur einer Umlaufbahn, ein Platz zum Verlieren, das symbolische Bild des menschlichen Lebens mit seiner Gier nach allen auf das Unerreichbare gerichteten Hoffnungen und Kräften.
Nur daß den besten Jahren eines Normalmenschen hier Stunden entsprechen. Aldrin wußte, die Spuren seiner breiten Schuhe auf dem Mond würden nicht nur das Apolloprogramm überdauern, sondern auch die Menschheit, denn erst in anderthalb Milliarden Jahren würde sie das Feuer der Sonne, die sich über die Erdbahn hinaus ausdehnt, tilgen. Aber wie kann sich ein Mensch, der so nah der Ewigkeit war, mit dem Bierverkauf begnügen? Wissen, daß man bereits alles hinter sich hat, diese Tatsache so heftig, so unabänderlich erfahren, das ist mehr als eine Niederlage, denn das ist Hohn über die Gipfelposition, die vorausgegangen ist. Als ich so dasaß und das eiserne Denkmal betrachtete, das ein Solider Ingenieur dem neunzehnten Jahrhundert errichtet hatte, wunderte ich mich immer mehr über meine eigene Verblendung, daß ich mich ihr so viele Jahre lang hingegeben hatte, und nur noch die Scham hinderte mich an einer eiligen Rückkehr nach Garges, um
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