Der Schnupfen
übergossen, denn er hatte alle Behälter zerschlagen, in denen er die Lösungen aufbewahrte, der Vergrößerungsapparat lag am Boden, Proque hatte sich die Hände mit Säure verätzt und Löcher in seinen Anzug gebrannt, aus dem Wasserhahn lief ein kräftiger Strahl, und der Optiker war naß vom Kopf bis zu den Füßen. Als ihm schlecht geworden war, mußte er versucht haben, sich zu
helfen, er hatte sich mit Wasser besprengt und schließlich den Kopf unter den Hahn gehalten. Wahrscheinlich wollte er sich vergiften, nahm aber statt Zyankali Brom und lag deshalb jetzt betäubt da. Er ließ sich in die Wohnung führen, der Nachbar trug ihn halb, die Mutter sagte aus, nachdem der gegangen war, habe ihr Sohn zu toben versucht, aber seine Kräfte hätten dazu nicht ausgereicht - das sah wieder nach einer kläglichen Komödie aus, er lag auf dem Bett, strampelte mit Armen und Beinen, wollte das Laken zerreißen, um sich daran aufzuhängen, stopfte sich den Kissenbezug in den Mund, kreischte, weinte, fluchte, und als er aufspringen wollte, stürzte er wie ein Klotz um und schlief wie vor wenigen Tagen auf dem Fußboden ein.
Am nächsten Morgen erwachte er spät und fühlte sich zerschlagen. Er klagte verzweifelt, aber wieder verständig über den Schaden, den er selbst angerichtet hatte. Den ganzen Vormittag lang hob er auf, spülte und rettete, was von den zusammengeklebten Negativen noch zu retten war, er räumte auf und reinigte die Dunkelkammer, mittags ging er fort, mit einem Spazierstock, weil ihm schwindlig war, aber er mußte ja neue Lösungen kaufen anstelle der verdorbenen. Abends klagte er seiner Mutter, es handle sich wohl um eine Geisteskrankheit, er fragte sie nach Fällen von Wahnsinn in der Familie und wollte nicht glauben, daß ihr keiner bekannt sei. An der Art, wie er mit ihr umging, wie er sie der Lüge bezichtigte, erkannte sie, daß er noch immer nicht wieder ganz normal war, denn früher hatte er nie gewagt, ihr gegenüber auch nur die Stimme zu erheben.
Nie war er so aggressiv gewesen, aber was half’s, man kann die Erregung und die Angst eines Menschen verstehen, der unverhofft im Abstand von wenigen Tagen zwei Anfälle von Wahnsinn erleidet. Er sagte seiner Mutter, wenn sich das noch ein einziges Mal wiederhole, gehe er zum Psychiater. So energisch gefaßte Entschlüsse entsprachen nicht sei-
nem Wesen, früher waren Wochen vergangen, ehe er sich aufgerafft hatte, zu einem Hautarzt zu gehen, er hatte sich zunächst sehr gequält mit seinen Furunkeln, und das alles nicht aus Geiz, er war ja versichert, sondern die kleinste Änderung im Tagesablauf kam ihm unerträglich vor.
Mit dem Kunden, der ihm die Filme anvertraut hatte, kam es zum Streit, er vermißte einige Aufnahmen. Was da zwischen ihnen vorfiel, wissen wir nicht - das ist der einzige sachliche Punkt, der in dieser Angelegenheit nicht geklärt ist.
Danach geschah eine ganze Woche lang nichts. Proque beruhigte sich. In den Gesprächen mit seiner Mutter erwähnte er den Verdacht, er habe eine Geisteskrankheit, nicht mehr. Am Sonntag ging er mit ihr ins Kino. Und am Montag wurde er verrückt. Das kam so. Um elf Uhr verließ er seine Werkstatt, ohne die Tür zu schließen. Er antwortete nicht wie üblich auf den Gruß des ihm bekannten Bäckers, der an der Ecke eine kleine Konditorei hat. Dieser Mann, ein Italiener, sprach ihn von sich aus an, denn er stand vor seinem Laden. Proque kam ihm >irgendwie selt-sam< vor, doch er trat ein, kaufte Süßigkeiten, sagte, er werde auf dem :Rückweg zahlen, weil er dann >einen Haufen Geld< haben werde - auch das war nicht sein Stil -, stieg an der Haltestelle in ein Taxi - dabei war er sicher seit zehn Jahren nicht Taxi gefahren - und nannte dem Fahrer eine Adresse auf der Rue de l’Opéra. Er ließ ihn warten, kam nach einer Viertelstunde wieder, rief laut etwas vor sich hin und gestikulierte mit den Händen, in der einen hielt er einen Umschlag voller Banknoten. Den Halunken verfluchend, der ihm seinen Verdienst habe entreißen wollen, ließ er sich in Richtung Notre-Dame fahren. Auf der Insel angekommen, bezahlte er für die Fahrt hundert Francs, ohne den Rest zu verlangen - dabei bemerkte der Taxifahrer, daß er lauter Hunderter im Umschlag hatte;
und noch ehe das Taxi abfuhr, wollte er über die Balustrade der Brücke steigen. Ein Passant packte ihn am Bein, sie rangen miteinander, daraufhin sprang der Taxifahrer aus seinem Wagen, aber auch zu zweit wurden sie mit dem Optiker nicht fertig. Er
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