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Der Schnupfen

Der Schnupfen

Titel: Der Schnupfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Proque, denn das Denken einer so alten Dame ist wie ein Brett - war sie erst in die Frage eingedrungen, mußte ich ihr geduldig zuhören. Gegen Ende meines Besuchs schien es mir, als hörte ich unten die Ladenklingel - das Fenster war nur angelehnt. Ich fand meinen Mitarbeiter hinter dem Ladentisch bei der Durchsicht des Buches mit den Eintragungen.
    >Haben Sie was gefunden?< fragte ich.
    >Nein, nichts.<
    Aber er wirkte unsicher.
    >War jemand hier?,
    >Ja. Woher wissen Sie das?<
    >Ich habe die Klingel gehört.<
    >Ja<, wiederholte er und erzählte mir, was vorgefallen war. Er hörte die Klingel, aber weil er auf einem Stuhl stand, um eine Schachtel mit Verbindungskabeln zu durchsuchen, konnte er nicht sogleich in den Laden gehen. Der Kunde hörte sein Kraspeln, war überzeugt, das sei Proque, und sagte laut:
    >Wie steht’s? Wie geht es Ihnen heute, mein lieber Dieu-donne?<
    Daraufhin betrat der Assistent den Laden und sah einen Mann mittleren Alters ohne Hut, der bei seinem Anblick zusammenfuhr, als wollte er zur Tür fliehen. Der Zufall hatte mitgespielt. Gewöhnlich gehen die Leute von der Rauschgift-Abteilung in Zivil, doch gerade an diesem Tag sollte eine kleine Festlichkeit im Zusammenhang mit der Auszeichnung eines Vorgesetzten stattfinden, deshalb sollten zu seinen Ehren alle in Uniform kommen. Und weil. das um vier Uhr begann, hatte der Assistent die Uniform schon vorher angezogen, um nicht noch einmal nach Hause gehen zu müssen.
    Der Kunde erstarrte also beim Anblick der Uniform. Er sagte, er wollte seine zur Reparatur abgegebene Brille abholen, und zeigte eine Quittung mit Nummer. Der Assistent antwortete, der Inhaber habe einen Schwächeanfall erlitten, darum könne er seine Brille leider nicht bekommen. Auf diese Weise wurde alles gesagt, was zu sagen war, doch der Kunde rührte sich nicht vom Fleck. Schließlich fragte er mit leiser Stimme, ob Proque plötzlich erkrankt sei. Der Assistent bejahte.
    >Ernstlich?<
    >Ziemlich.<
    >Ich … ich brauche diese Brille sehr<, sagte der Fremde zusammenhanglos und offenbar nur, weil er sich zu der eigentlichen Frage nicht aufraffen konnte.
    >Lebt er… noch?< fragte er plötzlich.
    Das gefiel meinem Mitarbeiter nun überhaupt nicht mehr.
    Er antwortete nicht, legte aber die Hand auf die Klappe, die den Durchgang im Ladentisch versperrte, weil er den Wunsch verspürte, den anderen zu identifizieren. Doch der wandte sich auf dem Absatz um und ging hinaus. Ehe der Assistent das Brett ausgehakt und hochgeklappt hatte und
    auf die Straße hinausgelaufen war, hatte sich jede Spur des Kunden verloren. Es war gegen vier Uhr, die Leute kehrten von der Arbeit zurück, ein leichter Nieselregen fiel, auf den Bürgersteigen herrschte Gedränge.
    Es ärgerte mich ein bißchen, daß er ihn so hatte fortgehen lassen, doch verschob ich meine Strafpredigt. Wir hatten immerhin das Auftragsbuch. Ich fragte den Assistenten, ob er die Nummer der Quittung behalten habe, die ihm der Mann gezeigt hatte. Mein Mitarbeiter wußte sie nicht. Im Buch gab es eine ganze Anzahl von Eintragungen aus den letzten Tagen, sie waren nur mit den Anfangsbuchstaben der Kunden bezeichnet. Es sah also wenig günstig aus. Worauf man sich stützen konnte - das Verhalten des Kunden -, war nebulos Wie ein Wölkchen. Er mußte Proque gut kennen, da er ihn mit dem Vornamen angeredet hatte. Am Ende schrieb ich mir, wenn auch ohne größere Hoffnung, die letzten Positionen aus dem Buch ab. Konnte die Quittung für eine Brille nicht auch ein bequemer Vorwand sein? Drogen konnten in einem Versteck untergebracht werden, das man nicht im Laufe eines Tages fand, wenn Fachleute es angelegt hatten. Die Nummer konnte fiktiv sein. Was ich damals über Proque dachte? Eigentlich weiß ich es selber nicht. Doch sogar wenn ich mich bisher hinsichtlich der Person des Optikers geirrt hatte und seine Werkstatt ein Dealertreff war, schien es ganz und gar unsinnig anzunehmen, Pr°que habe sich nach Empfang der Ware als erster bedient und dabei vergiftet. Die Ware konnte verfälscht sein, das kommt vor, aber es kommt nicht vor, daß Händler oder Vermittler selbst Drogen nehmen - sie kennen die Folgen zu gut, um der Versuchung zu erliegen. Ich wußte also nicht, was ich denken sollte, bis der Assistent mir half, weil ihm einfiel, daß der Kunde trotz des Regens draußen weder Schirm noch Hut gehabt hatte und daß sein Mantel, ein rauher Duffiecoat, fast trocken gewesen war. Mit dem
    Auto konnte er nicht gekommen sein, die Straße war

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