Der Schnupfen
Proque den gesamten Inhalt der Dunkelkammer erworben und hat der Reihe nach die Wirkung aller dort vorhandenen Chemikalien auf das Präparat X untersucht, aber vergeblich.
Frau Proque starb noch vor Weihnachten desselben Jahres. Ich hörte von meinen Leuten, aber nur gerüchtweise,
Dunant sei nach ihrem Tod für längere Zeit in die verlassene Werkstatt gezogen und habe den ganzen Winter über Proben aller Substanzen einschließlich des Sperrholzes der Trennwand, des Schleifsteins, des Lacks der Wände und des Staubs vom Fußboden entnommen, doch habe er nichts gefunden. Ich erzählte Ihnen das alles auf Wunsch von Inspektor Pingaud. Ich glaube, Ihr Fall gehört in dieselbe Gegend. Solche Dinge passieren eben auf unserer Welt, seit sie wissenschaftlich vervollkommnet wurde. Das ist alles.«
Zurück nach Garges brauchten wir wegen der Stauungen eine Stunde, wir redeten wenig. Den Wahnsinn, dem Pro-que erlegen war, hatte ich wiedererkannt wie ein vertrautes Gesicht. Es fehlte bei ihm die Phase der Halluzinationen, aber wer konnte wissen, was dem armen Kerl für Wahngebilde erschienen waren. Merkwürdig, in den anderen Opfern hatte ich Bestandteile eines Rätsels gesehen, Proque aber tat mir leid - wegen Dunant. Ich verstand, daß Mäuse ihm nicht genügt hatten. Mäuse konnte er nicht zum Selbstmord treiben. Er brauchte einen Menschen. Und er riskierte nichts - als er den Polizisten in der Tür sah, ging er hinter Frankreich in Deckung. Auch das konnte ich begreifen.
Aber seine Worte: >Wie geht es Ihnen heute, mein lieber Dieudonne?< machten mich wütend. Wenn der Japaner in Rom ein Verbrecher war, was war dann Dunant? Der Name mußte wohl geändert worden sein. Ich überlegte, warum Inspektor Pingaud mich diese Geschichte hören ließ, aus Sympathie gewiß nicht. Was verbarg sich dahinter? Der Schluß konnte auch fingiert sein. Wenn ja, konnte es sich um einen Versuch handeln, die Gelegenheit zu ergreifen, unter einem unschuldigen Vorwand dem Pentagon Informationen über eine neue chemische Waffe zu übermitteln.
Als ich mir das in Gedanken betrachtete, kam mir die Sache ziemlich wahrscheinlich vor. Es war eine Trumpfkarte, so geschickt gezeigt, daß man im Bedarfsfalle ihre Vorweisung verleugnen konnte - ich hatte ja gehört, man hätte nichts gefunden, und konnte nicht sicher sein, daß es sich anders verhalte. Wäre ich ein gewöhnlicher Privatdetektiv gewesen, wäre mir diese Sitzung bestimmt nicht zuteil geworden, doch ein Astronaut, auch einer in zweitrangiger Position, wird mit der NASA in Verbindung gebracht und die NASA mit dem Pentagon. Falls man das hoch oben entschieden hatte, war Pingaud nur der Ausführer einer Anordnung gewesen, und die Verwirrung, in die Barth dadurch geriet, hatte keine Bedeutung. Barths Situation war delikater als meine. Zweifellos ahnte er den Hauch der großen Politik in diesem unerwarteten Akt der >Hilfe<, aber er wollte nicht mit mir darüber reden, zumal es auch ihn überrascht haben mußte. Ich war sicher, daß man ihn nicht vorgewarnt hatte, denn ich kenne so ungefähr die Spielregeln auf diesem Terrain. Man konnte ihn nicht beiseite nehmen und sagen: >Wir zeigen diesem Ami aus der Entfernung eine wichtige Karte, er wird das weitergeben<. So etwas tut man einfach nicht. Wäre nur ich eingeweiht worden, hätte das eigenartig ausgesehen - sie konnten nicht so handeln, zumal sie wußten, daß Barth mir bereits die Hilfe seines Teams zugesagt hatte. Sie konnten ihn weder übergehen noch in die Hintergründe der Sache einführen, also hatten sie die vernünftigste Variante gewählt; er hatte dasselbe gehört wie ich und konnte sich nun mit der Frage herumquälen, was weiter geschehen solle. Vielleicht bedauerte er schon die Bereitwilligkeit, mit der er mir entgegengekommen war. Ich meinerseits überlegte mir die Folgen dieser Geschichte für unsere Untersuchung. Sie stellten sich nicht gerade rosig dar. Aus der italienischen Serie hatten wir nur folgende, zu einem Unfall prädestinierende Eilten-schaften herausdestilliert: Schwefelbäder, Alter um die Fünfzig, schwerer Körperbau, Einsamkeit, Sonne und Allergie, hier aber hatten wir es mit einem hageren Menschen jenseits der Sechzig zu tun, einem Nicht-Allergiker, der mit seiner Mutter zusammen wohnte, keine Schwefelbäder nahm, die Sonne mied und sich nicht aus seinem Haus rührte. Schwerlich fänden sich noch mehr Unterschiede! In einer Anwandlung von Großmut sagte ich Barth, wir sollten wohl besser die angehörte
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