Der Schock: Psychothriller (German Edition)
einmal zwei Minuten war sein Gesicht nass, und er spürte, wie die Feuchtigkeit in seine Jacke kroch. Fröstelnd lief er weiter, die inzwischen auf beiden Seiten zweispurige Corniche bergab. Jeden Moment erwartete er, dass ihm hinter der nächsten Biegung ein Auto entgegenkam. Aber die Straße blieb leer.
Bis er es plötzlich sah.
Ein Scheinwerferpaar hinter einer Biegung.
Nur dass die Lichter sich nicht bewegten. Das Fahrzeug schien zu stehen.
Sofort wurde ihm flau.
Nein. Das kann nicht sein, dachte er. Bitte lass es nicht so sein.
Er schluckte und versuchte, die alten Bilder, die in seinem Kopf aufflammten, zu ignorieren.
Mit raschen Schritten ging er weiter, immer auf den Lichtschein zu. Die Corniche machte einen sanften Knick nach rechts. Der Cherokee stand mitten auf der Straße, etwas schräg, als hätte jemand überhastet angehalten. Der Regen brach sich im Licht der Scheinwerfer, die ins Gebüsch leuchteten. Auf der noch warmen Motorhaube tanzten Wassertropfen wie kleine Teufel. Die Beifahrertür war offen, alle anderen geschlossen.
Der Wagen war leer.
Keine Spur von Laura, Katy oder Greg.
Obwohl der Cherokee vollkommen unversehrt war, meinte er plötzlich verbogenes Metall zu sehen, Glassplitter, eine durchschlagene Windschutzscheibe.
Die Stille nach dem Crash, das war damals das Schlimmste gewesen. Es hatte in Strömen geregnet, und die Tropfen hämmerten auf das Autodach, aber ihm war, als wäre er taub. Er hatte auf dem mittleren Platz der Rückbank gesessen, zwischen Katy und Theo, seine Mutter vor ihnen, auf dem Beifahrersitz. Sie hatte sich umgedreht, hatte erst ihn angesehen, dann war ihr Blick auf den Kindersitz neben ihm gefallen, und ihre Augen hatten sich geweitet. Die ganze Welt schien stehenzubleiben, kein Laut, keine Bewegung, kein Atemzug. Nur der Blick seiner Mutter auf den leeren Kindersitz.
Wenn jemand stirbt, sagt man, bricht sein Blick. In diesem Moment brach etwas in ihrem Blick. Nur dass sie nicht starb.
Jan biss die Zähne aufeinander und versuchte die Erinnerungen abzuschütteln. Du bist erwachsen! Hier gibt es keinen leeren Kindersitz!
Langsam, ganz langsam näherte er sich der sperrangelweit aufstehenden Beifahrertür des Cherokee. Seine Finger berührten das kalte Metall der Tür. Das half etwas, um ins Hier und Jetzt zurückzukommen. Sein Blick fiel auf den beigen hellen Ledersitz, der klatschnass war, ebenso wie der Fußraum. Der Zündschlüssel fehlte, das Scheinwerferlicht beleuchtete dennoch den Straßenrand.
Jan schloss die Beifahrertür und stieg dann hinten auf die trockene Rückbank. Als er die Tür hinter sich zugezogen hatte, kam es ihm vor, als säße er in einer Luftblase, auf dem Grund eines dunklen Sees. Unter der Sohle seines rechten Gummistiefels spürte er etwas Hartes, bückte sich und hob einen flachen rechteckigen Gegenstand auf. Es war Lauras Handy, ein silbern schimmerndes Nokia mit einem kleinen Sprung am unteren Teil des Gehäuses.
Was zum Teufel war hier passiert?
Eine ganze Weile starrte er wie paralysiert auf das Handy. Von seiner Kapuze tropfte Wasser auf das Display. Er blinzelte und versuchte, die Beklemmung abzuschütteln. Vielleicht war es das Beste, die Polizei zu rufen. Aber welche Nummer hatte eigentlich die Polizei in Frankreich?
Dann bemerkte er, dass er ohnehin kein Netz hatte.
Er steckte Lauras Handy ein, stieg aus und rief in die Dunkelheit. »Laura?«
Keine Antwort.
»LAUUURA!«
Nichts. Nur der prasselnde Regen und das weit entfernte Rauschen des Meeres. Hinter der nächsten Biegung tauchte ein Scheinwerferpaar auf. Jan stellte sich in den Lichtkegel des Cherokee, hob die Hand und winkte. Der Wagen, ein kleiner Van, wechselte auf die Innenspur, ohne das Tempo zu verringern.
Jan trat ihm in den Weg und winkte ausholend mit beiden Armen. Die Scheinwerfer erfassten ihn, und er kniff die Augen zusammen. Am Kühler blitzte ein CitroënLogo.
Für einen Moment schien es, als ob der Wagen langsamer würde, dann beschleunigte der Citroën jäh. Jan sprang beiseite. Ein Schwall Wasser durchnässte seine Hose. Durch das Seitenfenster sah er die Silhouette einer Frau am Steuer.
Dann verloren sich die Rücklichter Richtung Èze. Er fluchte. Trotzdem verstand er die Frau. Strömender Regen, ein fremder Mann mitten auf einer einsamen Straße – an ihrer Stelle hätte er auch nicht gehalten.
Also weiter, runter nach Beaulieu. Da gab es mit Sicherheit eine Polizeistation.
Mit schnellen Schritten lief er los, immer auf der linken
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