Der Schock: Psychothriller (German Edition)
nur einen kleinen Teil von ihr. Mach dir keine Sorgen.«
»Na, das sagt ja die Richtige! Warst du nicht diejenige, die mich angerufen hat und Panik geschoben hat, weil Laura etwas zu lange auf dem Klo verschwunden ist?«
Katy schluckte. »Das war was anderes.«
»Finde ich auch«, entgegnete Jan. Er sah Greg an, der an der Kante des Esstisches lehnte und düster auf den Boden starrte. Jans Instinkte rebellierten. Irgendetwas an dieser Geschichte war faul. Er wusste nur nicht, was, und er wusste auch nicht, was er jetzt tun sollte.
Die Polizei anrufen? Aber was sollte er denen erzählen? Von einem kindischen Streit zwischen ein paar Erwachsenen? Von einer Frau, die bei Regen aus einem Auto ausstieg und zu Fuß weiterlaufen wollte? Deshalb würde wohl kaum jemand eine groß angelegte Suchaktion starten.
Ein anschwellendes Prasseln drang in die beklemmende Stille. Der Regen war zurück, stärker als zuvor.
Er hätte jetzt gerne mit Laura draußen unter dem Vordach gestanden und den Rauch auf ihren Lippen geschmeckt.
Kapitel 6
Berlin, 18. Oktober, 10:21 Uhr
Laura spürte als Erstes die Schmerzen. Ein Stechen wie von tausend Nadeln unter der Schädeldecke. Sie öffnete die Augen, doch es blieb dunkel. Benommen schloss sie die Augen wieder. Wo war der Regen? Und die Straße?
Vor wenigen Minuten war sie doch noch die Straße emporgestapft, alleine und voller Wut. Sie hatte auf die Spitzen ihrer Gummistiefel gestarrt und die Schritte gezählt, um nicht daran zu denken, wie weit sich der Weg bis zum Haus noch zog.
Hinter ihr hatte sich das dunkle Gurgeln eines Dieselmotors angeschlichen. Sie hörte das Wasser unter den Reifen spritzen, sah stur geradeaus und stiefelte weiter bergan. Sie würde den Teufel tun und wieder ins Auto steigen. Sie war es gewohnt, alleine klarzukommen. Ganz alleine.
Auch als die Scheinwerfer des Wagens sie erreichten, drehte sie sich nicht um. Sie sah nur, wie ihr eigener Schatten vor ihr wuchs, immer länger und schärfer auf den Asphalt geworfen wurde, bis er schlagartig verschwand, als der Wagen an ihr vorüberrollte. Spritzwasser durchnässte ihre Hose, sie sah kraftstrotzende silberne Felgen, die sich in die Straße krallten, ein deutsches Nummernschild, eine schwarze Heckpartie.
Abrupt blieb sie stehen und starrte auf die Rücklichter, die geriffelte Wasserspur der Reifen auf dem Asphalt und die rot aufglühenden Bremsleuchten. Etwa zehn Meter vor ihr kam der SUV zum Stehen. Die Spuren im Wasser schlossen sich; der Wagen stand da wie ein Phantom, aus dem Nichts gekommen und bereit, wieder ins Nichts zu verschwinden.
Dann ging die Fahrertür auf. Eine Gestalt stieg aus, ohne jede Hast. Die Innenbeleuchtung des Wagens ließ sie gelblich schimmern. In der rechten Hand der Gestalt blitzte etwas auf – ein langer schmaler Gegenstand.
Laura starrte wie paralysiert auf diesen Gegenstand. Sie spürte plötzlich jedes Haar und jede Pore an ihrem Körper. Die Gänsehaut brannte förmlich auf ihrer Haut. Der Gegenstand war ein schmales Rohr, etwa einen Meter lang, hatte jeweils in der Mitte und am Ende einen Handgriff, und über dem mittleren Griff war ein zweites, kürzeres Rohr angebracht.
Ein Zielfernrohr, dachte Laura. Das ist ein Gewehr!
Der Moment zwischen Erkenntnis und Loslaufen erschien ihr unfassbar lang, die Zeit dehnte sich, der Regen kam ihr vor wie ein glitzernder Vorhang aus messerscharfen Streifen, durch den sich die Rücklichter des Wagens brannten wie ein Paar giftiger Augen.
Sie drehte sich um und rannte los. Aus dem Augenwinkel sah sie noch, wie der Mann das Gewehr hob. Ihre Phantasie spann das Bild weiter, wie er auf sie anlegte, der hintere Griff an die Schulter gedrückt, die rechte Wange auf dem Kolben, das Auge direkt am Okular des Zielfernrohrs. Ihre Gummistiefel platschten unbeholfen über die Straße, ihr Hirn peitschte ihre Muskeln vorwärts. Es roch nach Erde, Salz und modriger Vegetation. Ich bin sportlich, dachte sie, durchtrainiert. Ich muss nur weit genug von ihm weg sein, dann schießt er vorbei.
Sie sah seinen Zeigefinger, der sich um den Abzug krümmte. Der Gegenwind riss ihr die Kapuze herunter. Sie fühlte sich nackt, und der Regen peitschte ihr ins Gesicht, ohne dass sie ihn noch spürte. Es gab nur den Mann mit dem Gewehr hinter ihr und die schwarze Corniche vor ihr, breit und lang, ohne Schutz.
Ich sollte Haken schlagen, dachte sie, damit er nicht …
Dann kam das Geräusch. Ein Peitschen. Trocken, kurz, scharf.
Im gleichen Augenblick traf
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