Der Schock: Psychothriller (German Edition)
denn passiert?«
»Das darf ich Ihnen nicht sagen. Würden Sie mir jetzt bitte Ihren Namen –«
Ohne ein weiteres Wort legte Laura auf.
Kripo.
Wie paralysiert sah sie auf die Wand vor ihr. Jan war offenbar zurück nach Berlin gekommen. Und irgendetwas war ihm passiert.
»Schätzchen. Was ist denn los?«
Sie fuhr herum. Vor ihr stand die Frau mit dem Frotteebademantel.
»Du bist ja weiß wie die Wand.«
Laura schluckte. Sie wollte losrennen, Jan suchen. Doch ihre Beine streikten. In ihrem Herzen breitete sich ein alter dunkler Fleck aus, und in ihrem Kopf schrie Mister Walker nach mehr. Nur ein Glas lang nichts spüren, wie früher. Keine Angst, keine Einsamkeit, kein Nordholm. Und ein Glas war ja schließlich auch nicht der Boden der Flasche.
Kontrolle, dachte sie.
Ich muss nur kontrollieren, wie viel.
Und sie konnte sich ja bestens kontrollieren. Schließlich hatte sie seit Jahren keinen Tropfen mehr getrunken. »Haben Sie …«, Laura stockte, räusperte sich. »Haben Sie vielleicht einen Drink?«
Kapitel 18
Berlin, 19. Oktober, 15:12 Uhr
Jan sah durch sein Spiegelbild im Waggonfenster auf die vorbeifliegenden Wände des U-Bahn-Schachts. An den Stationen öffneten und schlossen sich rumpelnd die Türen. Er blieb jedes Mal sitzen, auch an der Endhaltestelle Rathaus Steglitz, bis die U9 in die Gegenrichtung weiterfuhr. Er wünschte sich seinen alten Kleiderschrank zurück, in dessen stickige dunkle Abgeschiedenheit er sich nach Theos Tod so oft gerettet hatte. Nichts sehen, nichts hören, nichts fühlen. Bloß, dass das mit dem Nichts-Fühlen nie so recht aufgegangen war.
Inzwischen hatte Jan seine Converse-Turnschuhe angezogen. Die hellen Schnürsenkel zu binden hatte gutgetan. Wenigstens ein paar Sekunden Normalität in all dem Wahnsinn.
Ständig hatte er Nikki Reicherts Leiche vor Augen, mit der blutigen Schrift auf der Stirn. Er hatte noch nie eine Leiche gesehen, geschweige denn angefasst, und dieser kurze Moment, in dem seine Finger die gefrorenen Haare und die Haut berührt hatten, war in seiner Erinnerung erschreckend lebendig.
Nicht Laura.
Was um alles in der Welt hatte das zu bedeuten? Dass er sich von Laura fernhalten sollte?
Sein Blick blieb an der Waggondecke hängen, an einer kompakten Kamera. Er hatte keine Ahnung, wie schnell die Polizei eine umfassende Fahndung auf die Beine stellen konnte, aber im Zweifelsfall gab er ein dankbares Ziel ab: ein Mann ohne Hose und mit einem auffälligen Feuermal auf der linken Wange.
An der nächsten Station stieg er aus der Bahn aus.
In unmittelbarer Nähe der Station gab es eine Reihe von Geschäften, und er betrat das erstbeste. Ein höchstens zwanzigjähriger Verkäufer im Stil eines David-Beckham-Klons scannte ihn mit feindseligem Blick, während er eine dunkelblaue Jeans in der Größe 32 vom Stapel nahm, ein Paar warme Socken und dazu noch eine Schirmmütze. An der Kasse fing er sich weitere argwöhnische Blicke. Erst als das Elektronische Cash-System den Zettel mit Bezahlung erfolgt ausspuckte, gab es ein flüchtiges Verkäuferlächeln. Jan eilte in die Umkleidekabine und zog Socken, Hose und Schirmmütze an. Ein paar Geschäfte weiter fand er ein Nokia-Ladegerät für Lauras Telefon.
Kaum hatte er den Handy-Shop verlassen, blieb er wie angewurzelt auf dem Gehweg stehen.
Er hatte mit EC-Karte bezahlt!
Was für ein verdammter Leichtsinn. Das Erste, was die Polizei im Rahmen einer Fahndung überprüfen würde, das war die Spur seiner Kartenabrechnungen.
Er steuerte die nächste Bank an und hob am Automat den höchstmöglichen Betrag ab: 1800 Euro. Ab sofort würde er nur noch mit Bargeld bezahlen.
Und was jetzt?
Wo sollte er bloß hin? In Hotels oder Pensionen musste man sich in der Regel ausweisen, und das kam im Moment wohl kaum in Frage. Zu Katy? Dort würde die Polizei sicher auch bald aufkreuzen, um nach ihm zu fragen. Dann fiel ihm Lauras Wohnung ein. Das erschien ihm vorläufig die beste Möglichkeit.
Vorsichtshalber mied er öffentliche Verkehrsmittel sowie Taxen und ging zu Fuß. Knapp zwei Stunden später stand Jan vor Lauras Wohnungstür. Seine Finger tasteten über den oberen Rand des Türrahmens und fanden den Schlüssel. Er sperrte die Tür auf und betrat die Wohnung.
Es war dunkel, wie beim letzten Mal, und er drückte den Lichtschalter. Die rote Lampe mit den japanischen Schriftzeichen flammte auf.
Entgeistert starrte er in den Flur.
Im ersten Augenblick glaubte er, in der falschen Wohnung zu sein. Aber es passte
Weitere Kostenlose Bücher