Der Schock: Psychothriller (German Edition)
auf die Idee kommen könnte, sie ›gehöre‹ ihm.«
Greg verzog den Mund. »Ich sag nur: Dreißig Minuten Egotrip auf der Supermarkt-Toilette, ohne Bescheid zu sagen.«
»Der springende Punkt ist«, fuhr Jan fort, »wenn er sie schon länger kennt, und da bin ich ziemlich sicher, dann sollte er das eigentlich wissen. Es interessiert ihn aber nicht. Er geht einfach darüber hinweg. Er will Laura für sich. Sie gehört ihm. Obwohl er sicher sein kann, dass sie das nicht will.«
»Okay. Aber ich sehe noch nicht, dass uns das jetzt weiterbringt«, meinte Katy.
»Nicht direkt«, gab Jan zu. »Aber es verrät uns, wie er tickt. Er ist vermutlich extrem dominant. Für ihn scheint es normal zu sein, jemand anders zu besitzen und zu beherrschen. Das spricht für ein exzessives Dominanz- und Kontrollstreben. Vielleicht sogar für einen Kontrollzwang. Dafür spricht auch sein Äußeres. Und sobald ihm die Kontrolle zu entgleiten droht, ist er sogar bereit zu töten. Das ist pathologisch.«
»Pathologisch?« Greg runzelte die Stirn.
»Krankhaft«, übersetzte Katy. »Eins von Jans Lieblingswörtern seit dem Studium.«
Für einen Moment schwiegen alle drei. »Sag mal, mit dem Albino«, fragte sie schließlich, »bist du dir da eigentlich sicher?«
»Na ja. Sicher ist relativ. Aber rote Augen gibt es eigentlich nur bei Albinismus.«
»Hast du nicht gesagt, die Augen wären nur kurz rot gewesen?«
»Menschen haben normalerweise auch keine roten Augen. Selbst Albinos nicht, soweit ich weiß. Ihnen fehlt ein Farbstoff in der Iris, das heißt, wenn Licht direkt ins Auge fällt, dann dringt es gewissermaßen ungefiltert ins Augeninnere hinein und wird rot reflektiert. Das ist ähnlich wie der Blitzlichteffekt, nur intensiver. Außerdem hatte ich für einen Moment den Eindruck, dass die Pupillen gezittert haben.«
»Gezittert?«
»Hast du mal ein Laptop?«, wandte Jan sich an Greg.
Greg nickte und ging ins Nebenzimmer. Als er zurückkam, reichte er Jan ein iPad. »Ich nehme an, das tut es auch.«
Jan nickte, öffnete den Browser, gab Albinismus ein und klickte sich durch die Suchergebnisse. »Hier steht’s«, meinte er schließlich. »Augenzittern. Der Fachbegriff heißt okularer Nystagmus. Die meisten Menschen mit stark ausgeprägtem Albinismus leiden darunter. Mal mehr und mal weniger stark. Wegen des fehlenden Farbstoffs kommt zu viel Licht ins Auge, und die Augen können nicht mehr richtig fokussieren. Deswegen zittert die Pupille hin und her und versucht sich quasi pausenlos scharf zu stellen.«
»Aber das würde ja bedeuten, dass er schlecht sieht, oder?«
»Hier steht, dass meistens nur eine Sehschärfe von 0,1 bis 0,5 erreicht wird. Das ist gerade mal genug, um noch Rad fahren zu können – wenn überhaupt. Pfeiler oder Poller kann man da leicht mal übersehen. Und an Auto fahren ist damit nicht zu denken.«
»Aber in Frankreich ist er Auto gefahren, denk an das Video auf Lauras Handy«, warf Greg ein.
Jan dachte einen Moment nach. »Eigentlich schien er mir auch ganz gut zu sehen.« Er scrollte im Beitrag auf dem iPad weiter nach unten. »Hier steht auch, dass es bei Albinismus ganz unterschiedliche Formen und Ausprägungen gibt, auch was die individuelle Sehschärfe und den Nystagmus angeht. Aber so oder so, irgendeine Form von Sehbehinderung müsste er eigentlich haben.«
»Hm.« Katy sah von Greg zu Jan. »Wenn er wirklich Albinismus hat, dann könnte uns das doch helfen, ihn schneller zu finden. Er hat ja auch noch diese auffälligen Tattoos, oder was auch immer das ist.«
»Und wie willst du das machen?« Greg öffnete sich eine zweite Bierdose. »Es gibt doch keine Datenbank für Albinos.«
»Vielleicht in irgendeiner Universität? Irgendjemand, der eine Studie macht?«
Jan gähnte und schüttelte den Kopf. »Viel zu kompliziert. Erstens kriegen wir dann Probleme mit dem Datenschutz, zweitens müssen wir erst mal rauskriegen, welche Uni das sein könnte, und drittens: Wer weiß schon, ob unser Mann sich überhaupt an so etwas wie einer Studie beteiligt.« Er nahm sich ebenfalls eine zweite Dose, öffnete sie und trank. »Wenn er wirklich einen solchen Kontrollzwang hat, wie ich vermute, dann würde er sich nie in eine so unsichere und ergebnisoffene Situation wie eine Studie begeben. Ich an seiner Stelle würde eher im Verborgenen leben, in einem festen Rahmen, den ich nach meinen Vorstellungen gestalten kann.«
»Puh«, machte Katy und sah ihn an.
»Was, puh ?«
»Manchmal bist du mir
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