Der Schock: Psychothriller (German Edition)
Küche, mit Cord-Sakko, Jeans und dunkelbraunen Chucks. Er hatte Ringe unter den Augen und sah abgespannt aus. Müde stellte er ein Sixpack auf den Küchentisch. Das Geräusch klang seltsam in der Stille. Jan fiel plötzlich auf, dass er noch nicht einmal wusste, was eigentlich Gregs Beruf war.
»Da ist ja der Flüchtige«, stellte Greg ohne jede Ironie fest. Er reichte Jan und Katy jeweils eine Dose und öffnete sich selbst eine. »Dann erzähl mal.«
Jan räusperte sich. Und erzählte. Katys Augen wurden immer größer. Als er fertig war, merkte er, dass er noch keinen Schluck getrunken hatte. Er öffnete die Dose, und die Luft entwich mit einem lauten Zischen. Das kalte Bier tat gut.
»Aber was soll das für einen Sinn haben, erst jemanden zu entführen und ihn dann wieder freizulassen?«, fragte Katy.
»Ehrlich gesagt, ich habe nicht die geringste Ahnung. Das mit dem Freilassen ist ja auch nur eine Spekulation. Vielleicht hat ihr ja auch jemand geholfen, da rauszukommen.«
»Hört sich ziemlich unwahrscheinlich an«, murmelte Greg.
Katy nickte. »Denkst du, er ist auf der Suche nach ihr?«
»So einer sucht nicht. Der jagt«, meinte Jan.
»Vor allem jagt er jetzt auch noch dich«, stellte Katy fest.
Für einen Moment herrschte Schweigen.
»Es geht ihm um Laura, nicht um mich«, sagte Jan schließlich. »Er will, dass ich mich von ihr fernhalte.«
»Was du ja nicht tust.«
»Was willst du damit sagen?«
»Hast du mal daran gedacht, dich zu stellen?«
»Und Laura?«
»Mir geht’s gerade nicht um Laura«, sagte Katy.
»Mir schon.«
»Wenn dein Bruder sich stellt«, warf Greg ein, »dann hat er über kurz oder lang zwei Morde am Hals. Erstens die Nachbarin und zweitens diesen Gandalf. Sowohl an der Grillschale als auch an der Flasche dürften seine Fingerabdrücke sein. Das dauert nicht lange, dann hat die Polizei das abgeglichen.«
»Und das reicht als Beweis?«, fragte Katy. »Ich meine, die Geschichte sollte der Polizei doch zu denken geben. Immerhin ist Laura verschwunden, auf der Stirn dieser – wie hieß sie noch?«
»Nikki.«
»Auf der Stirn dieser Nikki steht: Nicht Laura. Dann gibt es noch das Video auf dem Handy und uns als Zeugen. Bei der Kripo sitzen doch intelligente Leute, die hören einem doch zu.«
Greg zuckte mit den Schultern. »Das ist alles ziemlich dünn. Und bisher sprechen alle relevanten Tatsachen gegen Jan. Also, ich weiß nicht, ob ich das im Moment riskieren würde.«
Katy schwieg betreten.
»Ich muss vor allem Laura finden«, sagte Jan. »Und das kann ich nicht, wenn die Polizei mich festhält. So wie die Dinge stehen, komme ich mit Sicherheit erst mal in U-Haft. Dann sitze ich fest, und dieser Psychopath kann mit Laura sonst was veranstalten.«
»Wer ist dieser Typ? Was glaubst du, was will er von Laura?«, fragte Katy.
»Ich weiß es nicht.« Jan schwieg einen Moment, überlegte. »Aber ich glaube, dass er Laura kennt, vielleicht sogar schon lange. Es ist was Persönliches. Irgendetwas, das mit Lauras Vergangenheit zu tun hat. Ich weiß nur nicht, was.«
»Ich versteh noch nicht«, meinte Katy, »warum Laura nicht zur Polizei geht.«
»Anscheinend vertraut sie der Polizei nicht. Das hat jedenfalls Gandalf behauptet. Sie hat mehrere Jahre auf der Straße gelebt. Wer weiß, was da alles passiert ist. Und dann noch diese Geschichte im Internat.« Jan schüttelte den Kopf. »Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, das hängt alles zusammen.« Er setzte die Dose an die Lippen und trank sie leer. Müdigkeit kroch ihm in die Augen, und er blinzelte.
»Dieser Typ, dieser Albino«, sagte Katy, »der muss doch vollkommen durchgeknallt sein, sonst läuft man doch nicht so durch die Gegend, oder?«
Jan nickte still. Etwas ging ihm nicht aus dem Kopf. »Wisst ihr, was er unter der Brücke zu mir gesagt hat? Er meinte: ›Vergiss Laura. Sie wird dir niemals gehören.‹«
»Und?«
»Also erstens finde ich das seltsam, dass er von ›gehören‹ spricht. Und er hat es nicht einfach so dahingesagt. Es war ernst gemeint. In seiner Vorstellung ist das ganz normal, dass jemand einen anderen Menschen ›besitzt‹. Er glaubt, dass Laura ihm gehört. Deshalb ist er ja auch so wütend auf mich, weil er glaubt, dass ich sie ebenfalls besitzen will.«
Katy schwieg nachdenklich.
»Und zweitens?«, fragte Greg.
»Zweitens wissen wir doch, dass gerade Laura auf Besitzansprüche total allergisch reagiert. Sie ist viel zu eigensinnig, als dass jemand auch nur fünf Minuten lang
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