Der Schock: Psychothriller (German Edition)
unheimlich.«
»Warum?«
»Na, diese Sherlock-Nummer.«
Jan zuckte mit den Achseln. »Ich mochte klinische Psychologie, jedenfalls an der Uni. Ich konnte es nur nicht ertragen, in einer Klinik zu arbeiten.«
»Ist das nicht vielleicht eine Idee?«, meinte Greg. »In psychiatrischen Kliniken zu suchen?«
»An die Patientendaten kommen wir niemals ran. Und wer weiß, aus welcher Ecke von Deutschland er kommt.«
»Und jetzt?«, fragte Greg.
Jan gähnte erneut und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Doch egal, wie er saß, irgendein Körperteil tat immer weh.
»Und jetzt legt Jan sich hin«, sagte Katy. »Du siehst total erschossen aus.«
Da ist sie wieder, die große Schwester, dachte Jan. Doch im Gegensatz zu sonst fühlte es sich gut an. »Erst will ich noch wissen, wie dieses Internat heißt, in dem Laura war.« Er nahm das iPad, ging zurück zu Google und gab die Silben ›Nord‹ und ›Internat‹ in die Suchmaske ein. »Diese Geschichte mit dem Toten im Internat, die lässt mir keine Ruhe«, murmelte er. »Ich glaube, ich muss morgen noch mal zu ihr.«
»Zu ihr? Wen meinst du?«, fragte Katy.
»Ava Bjely«, sagte Jan. Kaum hatte er den Namen ausgesprochen, musste er erneut gähnen. Er merkte, dass er plötzlich fror, und das nicht nur wegen der Müdigkeit.
Kapitel 29
Berlin, 21. Oktober, 02:05 Uhr
Verfluchtes, beschissenes Chaos! Fjodor pickte mit spitzen Fingern einen der schwarzen Schminkstifte aus dem Glas. Noch niemals hatte sich sein Gesicht so angefühlt und so ausgesehen. Schwellungen, schmerzende Zähne, schwarze Schmiere, zerstörte Linien! Heute Nacht hätte er alles in Ordnung bringen können. Und danach hätte er sich gewaschen und einen strahlenden Sieg gefeiert. Und jetzt das! Es machte ihn schier rasend.
Der Reiniger brannte auf der wunden Haut. Die Schmierstellen am Kinn hatte er weggewischt, und mit dem Stift zog er nun die Linien über der gesäuberten Hautpartie nach. Was hatte es für einen Sinn, sich zu waschen, wenn nicht vorher alles richtig war und jede Linie an ihrem Platz saß?
Rituale waren Rituale.
Wie er diesen Schwächling hasste!
Doch noch schlimmer war, dass Laura nicht wieder auftauchte. Er hatte so fest damit gerechnet, dass Laura wieder in ihre Wohnung zurückkehren würde. Aber aus irgendeinem Grund tat sie es nicht. Zweimal hatte er dort bereits nachgesehen, in regelmäßigen Abständen auf ihrem Festnetzapparat angerufen und jedes Mal darauf gewartet, gewartet, gewartet, dass sie den Hörer abhob. Einfach nur abhob. Mehr wollte er ja gar nicht.
Aber sie war nicht da.
Dabei wusste sie doch, dass ihr keine Gefahr mehr drohte. Er hatte es ihr mit dem Portemonnaie doch mehr als deutlich zu verstehen gegeben.
Also war er zur Brücke am Teltowkanal gefahren. Und war dort plötzlich auf ihn getroffen.
Was für eine Gelegenheit.
Zuerst hatte er den Abfall beseitigt. Wie nicht anders zu erwarten, hatte der Schwächling begriffsstutzig dagehockt und auf das Blut gestarrt.
Ein Schwächling eben. Unfähig zu handeln.
Und dann?
Er konnte von Glück sagen, dass die Flasche nicht auch noch zerbrochen war. Es hätte ihm den Hals aufschlitzen können. Fast hätte er sich selbst die Zunge abgebissen. Sein Kiefer schmerzte noch vom Aufeinanderschlagen der Zähne.
Im Nachhinein fragte er sich, ob es daran lag, dass er nicht alles gesehen hatte. Dabei sah er doch hervorragend. Besser als all die anderen, mit denen die Ärzte ihn immer in einen Sack hatten stecken wollen.
Er konnte sich noch gut an den Besuch beim Augenarzt erinnern, obwohl er damals nicht älter als acht oder neun gewesen sein konnte. Arztbesuche waren früher immer etwas Besonderes gewesen. Ärzte trugen weiße Kittel. Und zum Arzt durfte er ungeschminkt hinein. Meistens gab es allerdings komische Blicke wegen seiner schwarz gefärbten Haare. Seine Mutter zuckte dann immer mit den Achseln. »Der Junge wünscht sich das halt.«
Der Augenarzt war ein schlaksiger Mann mit schütterem Haar und einer Hornbrille. Er hatte sich damals gefragt, ob jemand mit einer solchen Brille überhaupt Augenarzt sein durfte. Wie konnte man die Augen anderer Leute untersuchen, wenn man selbst so schlecht sah? Ärzte wurden ihm mehr und mehr zuwider. Trotz ihrer schönen weißen Kittel.
Während der Untersuchung hatte der Arzt ständig vor sich hin gemurmelt. »Das gibt es doch nicht. Das kann nicht sein.« Oder: »Höchst seltsam.«
Am Ende hatte er seine Brille abgenommen und sich mit seinen Spinnenfingern die
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