Der Schock: Psychothriller (German Edition)
Verkehr zu konzentrieren.
Drei Minuten später bogen sie in die Fontanestraße ein. Auf beiden Seiten Straßenlampen, gelbe Lichtpunkte in der Nacht. Einfamilienhäuser mit Garten unter schwarzem Himmel. Kein Blaulicht weit und breit. Das Haus von Katy und Sören Bengtson lag am Ende der Straße, war in den Fünfzigern gebaut worden und leidlich saniert, mit gelb gestrichenem Putz und einem steilen Spitzdach über dem Erdgeschoss. Unter den grauen Dachpfannen lagen die Kinderzimmer.
Im Haus war alles dunkel.
Jan schaltete die Scheinwerfer aus und ließ den Wagen die letzten Meter im Dunkeln rollen. Dann stiegen sie aus.
Jan warf Katy einen warnenden Blick zu und legte den Zeigefinger auf die Lippen. Sie drückten die Türen des Cherokee leise zu. Am Gartentor holte Jan die Angst ein. Plötzlich hatte er Gandalf vor Augen und die Leichtigkeit, mit der ihn der Albino getötet hatte – von der Brutalität gegenüber Greg ganz zu schweigen. Er fühlte sich nackt. Er besaß weder eine Waffe noch sonst irgendetwas, mit dem er diesen Psychopathen in Schach halten könnte.
Der schmale Weg zur Haustür wurde lang und länger. Der Rasen war seit einiger Zeit nicht gemäht und die Sträucher und Rosen nicht zurückgeschnitten worden. Sören schien sich nicht um den Garten zu scheren.
Katy fasste seine Hand und hielt ihn zurück. »Was machen wir jetzt?«, flüsterte sie.
»Klingeln.«
Ihre Augen wurden groß. »Und wenn er …«
Jans Blick fiel auf den Sandkasten, den Sören und Katy für die Zwillinge angelegt hatten. Eine rostige Kinderschaufel mit Holzstiel lag darin. Er packte sie mit grimmiger Entschlossenheit. Das Holz fühlte sich spröde und durchweicht an.
»Wo bleibt denn die Polizei, verdammt?«, hauchte Katy. Vor ihrem Mund standen Atemwolken. Ihr Blick flog von einem dunklen Fenster zum nächsten.
»Wir klingeln«, flüsterte Jan. Er dirigierte Katy mit einer Handbewegung rechts neben die Haustür, er selbst stellte sich auf die linke Seite, packte die Schaufel mit beiden Händen, hob sie über den Kopf, mit der scharfen Kante nach unten gerichtet, und nickte ihr zu.
Katy drückte den Klingelknopf.
Jan hielt den Atem an. Der elektrische Ton zerrte an seinen Nerven.
Nichts.
Atme, dachte Jan. Trotz der nasskalten Luft war ihm heiß. Er betete, dass der Holzstiel nicht brechen wurde, wenn er zuschlagen musste. »Noch mal«, flüsterte er.
Katy klingelte erneut.
Im Hausflur sprang Licht an. Durch die mattierte Glastür zeichnete sich eine Gestalt ab, ein unscharfer Fleck, der größer wurde.
Katy wich von der Tür zurück, Jan bereitete sich darauf vor zuzuschlagen, statt der Schaufel hätte er lieber eine Axt gehabt.
Es knirschte. Eine Kette wurde gelöst. Die Tür schwang auf, und ein Mann trat hinaus in das helle Rechteck aus Licht. »Was um alles –«
Sören Bengtson erstarrte, als er Jan mit der erhobenen Schaufel sah.
Erleichtert ließ Jan die Arme sinken.
Hinter Sören trat eine blonde Frau in die Tür, vielleicht Mitte zwanzig, in einem Bademantel, den Jan bereits an seiner Schwester gesehen hatte.
»Wo sind die Mädchen?«, fragte Jan heiser.
Sörens Blick flog zwischen ihm, der Schaufel und Katy hin und her. »Seid ihr verrückt geworden?«, fragte er leichenblass. »Was wollt ihr hier?«
»Wo sind Nele und Anna«, wiederholte Katy.
»Hör zu«, sagte Sören und wich zurück ins Haus. »Wenn du die beiden mitnehmen willst, in Ordnung. Aber nicht so, ja! Bitte nicht so!«
»Mir ist scheißegal, mit wem du es treibst. Ist ja nichts Neues für mich. Aber ich will verdammt noch mal wissen, wo unsere Kinder sind.«
»Mama?«
Jan sah über Sörens Schulter und erkannte Nele, die im Schlafanzug die Treppe hinunterkam. Hinter ihr tauchte Anna mit verschlafener Miene auf.
»Anna, Nele!« Katy drängte sich an Sören und der blonden Frau vorbei, lief zur Treppe, drückte ihre Kinder an sich und schluchzte auf.
Jan fiel ein Stein vom Herzen.
Hinter ihm ertönte eine einzelne Polizeisirene.
Im selben Moment wurde ihm bewusst, dass er hier wegmusste. Sofort.
Er warf dem sichtlich verstörten Sören einen abschätzigen Blick zu, drehte sich um und rannte zum Wagen, die Schaufel immer noch fest in der Hand.
Als er wendete, tauchte das Blaulicht die Straße in grelle Lichtblitze. Ein Polizeiwagen fuhr in hohem Tempo durch die kleine Straße und wischte an ihm vorüber.
Jan bog um die Ecke und atmete erleichtert auf.
In diesem Moment klingelte Lauras Telefon in seiner Jackentasche. Er
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