Der Schock: Psychothriller (German Edition)
trocken in der Stille. Der Geruch nach verbranntem Fleisch hing in der Luft.
»Wenn er es auf dich abgesehen hat und uns bis hierher gefolgt ist, warum wartet er dann, bis wir weg sind, und bringt Greg um?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Jan.
Wieder Stille.
Händereiben.
Gedankenrasen.
»Was hat er mit Greg gemacht?« Katys Stimme bebte.
»Ich glaube, er … es sieht aus, als hätte er ihn …«
»Gefoltert?«, flüsterte Katy. Das Wort klang in der Stille nach.
»Ja.« Jan schluckte. Die Vorstellung war einfach ungeheuerlich.
»Was hätte Greg ihm denn sagen können? Wo wir sind? Das wusste er doch gar nicht.«
Jan starrte ins Leere. Genau das ist die Frage. Was wusste Greg, das diesem Ungeheuer nutzen konnte? Über Katy sicher eine Menge, dachte er. Aber über mich?
Plötzlich spürte er, wie sich Katy neben ihm versteifte. Ihre linke Hand umklammerte seinen Unterarm. »O Gott«, hauchte sie.
»Was?«
Katy deutete auf den kleinen Nachttisch neben dem Bett. »Das Foto.«
»Welches Foto?«, fragte Jan. Auf dem Nachttisch stand nur ein klobiger rechteckiger Digitalwecker.
»So ein kleines Bild aus dem Fotoautomat, ich hab es in den Rahmen vom Wecker geklemmt.«
»Katy, was für ein Foto?«
»Ein Bild von Nele und Anna.«
Jan hatte das Gefühl, von einem Güterzug erfasst zu werden. Sein Herz begann zu rasen. Schlagartig fügte sich alles zu einem Bild.
Bei allem, was dieser Psychopath getan hat, geht es um mich, dachte Jan.
Er war in meiner Wohnung und wollte mich töten. Er hat mich unter der Brücke aufgespürt, und er hatte mich in Gregs Wohnung gefunden. Jedes Mal bin ich davongekommen. Und jedes Mal hat dafür jemand anders bezahlt.
Anna und Nele.
Seine Brust wurde eng. Wie hatte er nur so naiv sein können. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er darauf kam, ihn mit seiner Familie aus der Reserve zu locken.
»Bitte sag, dass das nicht wahr ist«, flüsterte Katy.
Jan sprang auf, zog Lauras Handy aus der Jackentasche und wähle 110. Er presste das Handy ans Ohr, fühlte eine Ader an seiner Schläfe pochen.
Tuuut.
Katy saß da wie paralysiert, starrte fassungslos auf die Stelle am Wecker, wo das Foto fehlte.
Tuuut.
»Das lasse ich nicht zu«, würgte Jan heiser hervor. »Das – lasse – ich – nicht – zu!«
Kapitel 41
Berlin, 21. Oktober, 23:24 Uhr
Als Jan die Verbindung trennte, stand Katy vor ihm. Sie war aufgestanden, ohne dass er es bemerkt hatte. Ihre Finger krampften sich um ihr Mobiltelefon. »Zu Hause nimmt keiner ab«, sagte sie heiser.
»Hast du Sörens Mobilnummer probiert?«
»Beide Nummern.«
Sie sahen sich an.
Katy hatte Tränen in den Augen. »Abends macht er die Dinger immer leise. ›Irgendwann muss Ruhe sein‹, betont er jedes Mal.«
Jan nickte nur.
»Ich muss da hin«, sagte Katy mit brüchiger Stimme.
Im Flur lag Gregs Wagenschlüssel. Sie rannten aus dem Haus, auf den Gehweg. Jan drückte den Knopf für die Zentralverriegelung. Etwa 30 Meter weiter auf der linken Seite blinkte es orange.
»Lass mich fahren.« Katy streckte die Hand nach dem Schlüssel aus.
Jan sah auf ihre zitternden Finger. »Kommt nicht in Frage.«
»Es sind meine Kinder«, protestierte Katy.
»Und meine Nichten.« Jan startete den Motor. »Außerdem hast du einen Schock.«
Er saß zum ersten Mal am Steuer des Cherokee und war überrascht, wie schnell und schwerfällig zugleich der Wagen war. Er fuhr selten Auto und war froh über die Automatik.
»Vorne rechts«, sagte Katy.
Jan schlug das Lenkrad ein und folgte der Wegbeschreibung seiner Schwester. Er hätte den Weg vermutlich auch so gefunden, aber sie kannte mit Sicherheit die kürzeste Strecke.
Katy saß neben ihm und wählte pausenlos Sörens Nummer. Jan warf ihr einen besorgten Blick zu. »In fünf Minuten sind wir da«, versuchte er sie zu beruhigen. Seine Stimme hatte diesen hohlen Klang von Unsicherheit. Ein bohrendes Schuldgefühl wühlte in seinem Inneren.
»Ich halt das nicht aus«, stöhnte Katy, ballte die Fäuste und drückte ihre Nägel in die Handflächen.
Häuser flogen vorbei. Jan überfuhr zwei rote Ampeln, vor denen niemand stand. Beim nächsten Rotlicht blieb er stehen. Mehrere Autos kreuzten die Straße, darunter ein Bus. Kaum war die Straße wieder frei, gab er Gas.
»Meinst du, die Polizei ist schon da?«
Jan überlegte. Seit dem Notruf bei der Polizei waren gerade einmal acht Minuten vergangen. »Hoffentlich.« Mehr brachte er nicht heraus. Stattdessen versuchte er sich auf den
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