Der Schockwellenreiter
knurrte Nick. »Das Organisierte Verbrechen.«
Ted erhob sich und begann hin- und herzuschreiten, auf und nieder. »Natürlich ist das nicht unbedingt eine Neuigkeit«, sagte er. »Es muß jetzt fünfzig bis sechzig Jahre her sein, daß die Vermögen, die herkömmlicherweise mal diese, dann jene Partei an die Macht brachten, entweder versiegten oder in die Verfügung von Leuten gelangten, die nicht mitzuspielen beabsichtigten. Dadurch entstand ein Vakuum. Kriminelle, die nach Mitteln und Wegen suchten, um ihren beträchtlichen finanziellen Rückhalt in echte Macht umzumünzen, strömten in dies Vakuum wie Wasser durch einen gebrochenen Damm. Sie hatten immer schon auf der kommunalen und Länderebene dick ihre Finger drin gehabt, und nun sahen sie ihre Chance, auch die oberste Sprosse der Leiter zu erklimmen. Es ist wahr, daß der erste Versuch des Syndikats, nach der Präsidentschaft zu greifen, kaum mehr war als eine Pleite. Man hatte noch nicht kapiert, wie hell das Rampenlicht der Öffentlichkeit in der Pennsylvania Avenue 1600 sein kann. Außerdem wendete man längst bekannte Tricks an, wie zum Beispiel die Bestechungsgelder über Mexiko und die Jungferninseln zu schleusen. Aber man lernte schnell dazu.«
»Das kann man wohl sagen«, setzte Brad fort. »Die Moral von Monografie 21 ist keineswegs, daß man die Unterschlagung der halben Milliarde Dollar nachweisen konnte, sondern vielmehr, daß es mit dem restlichen Geld nicht gelang. Wir wissen, wo es geblieben ist - in politischen Kriegskassen -, aber es gab keine Möglichkeit, um's irgendwie zu beweisen.«
»Im Zusammenhang mit dem Abschluß des GlobalAtomwaffenabrüstungsvertrages«, murmelte Ted, »hatten wir uns für die Zukunft mehr versprochen.«
»Das glaube ich gerne.« Nicks Miene war düster. »Ach, Mann, ich hätte mir das alles längst denken sollen.«
»Du warst nicht an so günstiger Stelle für solche Einsichten«, meinte Brad mit trockenem Humor. »In einem Zelt mit zehn weiteren Erdbebenopfern, ohne Kleider zum Wechseln, anständige Nahrung oder bloß sauberes Trinkwasser, war es ziemlich leicht, die Ähnlichkeit zwischen den Beauftragten der Regierung und den mafioso zu erkennen.«
»Aber ich hätte auf anderem Wege darauf kommen müssen«, erwiderte Nick. »Ich müßte mich gefragt haben, weshalb die Verhaltenswissenschaften in den achtziger und neunziger Jahren von der Regierung eine Förderung von so kolossalem Umfang erfuhren.«
»Das ist ein wichtiger Aspekt«, bestätigte Ted und nickte. »Völlig auf einer Linie mit allem übrigen. Die Behavioristen stellten das Prinzip der Rübe am Stock auf die gleiche Art von wissenschaftlichem Basis, wie es die Nazis mit ihrer sogenannten Rassenlehre taten. Da überrascht es nicht, daß sie zu den Lieblingen des Establishments avancierten. Regierungen verlassen sich auf die Wirksamkeit von Drohungen und Traumas, um zu überleben. Am leichtesten zu beherrschen ist eine Bevölkerung, die schwach, arm, abergläubisch, vorzugsweise furchtsam vorm Morgen ist, die ständig daran erinnert wird, daß der Mann auf der Straße zur Seite in die Gosse zu treten hat, wenn einer seiner Oberen ihm die Ehre erweist, an ihm vorbeizukommen. Die behavioristischen Methoden boten sich zeitgemäß an, um diese Situation trotz des bislang unge-kannten Wohlstands, der vergleichsweise hohen Bildung und vorgeblichen Freiheit im Nordamerika des einundzwanzigsten Jahrhunderts weiterhin zu bewahren.«
»Solltest du in Teds Schilderung eine gewisse Ähnlichkeit mit Sizilien feststellen«, sagte Brad gedämpft, »dann ist das kein reiner Zufall.«
Kate hatte mittlerweile ihre Selbstbeherrschung zurückerlangt; sie saß vorgebeugt, die Ellbogen auf ihre Knie gestützt, und lauschte aufmerksam. »Das Datennetz muß doch eine furchtbare Gefahr für sie gewesen sein«, mutmaßte sie.
»Stimmt, aber eine, gegen die sie sich schützen konnten«, antwortete Ted. »Das heißt, bis heute. Sie trafen jede erdenkliche Vorsichtsmaßregel. Sie bauten das Delphi-System nach dem Vorbild der bereits existenten Spielhöllen auf. Äußerlich behauptete man, als Muster diene die Aktienbörse, aber das war ohnehin kein nennenswerter Unterschied, denn seinerzeit waren die Einkünfte aus Spielhöllen ja schon eine der zwei oder drei größten Finanzquellen der Spekulation. Sie gingen dazu über, Angehörige ihrer Sippen im Stich zu lassen, wenn sie auf den Kriegspfad zogen, und im Ergebnis dessen endete der ehrgeizigste Nachwuchs, jene mit
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