Der Schönheitschirurg
kaum sein Edith gegebenes Wort brechen. Und Maria! Was würde mit Maria geschehen, wenn ihn Haileybury über die Klinge springen ließ? Er nahm an, daß die städtischen Anstalten jetzt recht komfortabel waren. Er senkte den Kopf in die Hände und stöhnte laut.
Als die Schenke schloß, ging Graham schwankend in die Brook Street zurück. Stellas Wohnung war noch immer dunkel. Er erlitt die zusätzliche Demütigung, sich einem Polizisten ausweisen zu müssen. Er wanderte in die Queen Street und legte sich in den Kleidern auf sein Bett. Warum konnte ein Arzt nicht sein wie andere Männer, fragte er sich ruhelos, und ein Gesicht für seine Arbeit und ein anderes für sein Vergnügen tragen? Ein Generaldirektor konnte schlafen, mit wem er nur wollte, und trotzdem zum Ritter geschlagen werden. Er wollte fast schreien vor schmerzlicher Entrüstung. Er überlegte, wo Stella jetzt gerade sein mochte. Er sah sie vor sich im Bett, wie er sie kannte, mit einem gesichtslosen Mann. Irgendeine Verzerrung seiner Phantasie gab dem unbekannten Beischläfer das Aussehen Haileyburys. Das heiterte ihn kurz auf. Dann überlegte er, was Desmond und Alec anstellen mochten. Sein Sohn fuhr jetzt oft gefährlich schnell.
33
«Ich wurde ja auch von meinem eigenen Vater entbunden», erklärte Alec. «Das könnte einen Unterschied ausmachen.»
Desmond schien ihn gar nicht zu hören. Mit zufriedenem Lächeln fuhr er die Bentley-Limousine mit 130 Stundenkilometern auf der Umfahrung von Barnet. Mit achtzehn war er schon ein ausgezeichneter Autofahrer. Er war auch hochintelligent, sprach fließend französisch und deutsch, zitierte Voltaire, konnte Wein bestellen, flüsterte Witze, die Alec zu verstehen vorgeben mußte, war ein gewandter Kricketspieler, kleidete sich gut und konnte den Continental tanzen.
«Unterschied worin?» fragte Desmond, die Augen auf die Straße gerichtet.
«Bei dieser Asthmageschichte.»
«Oh, das. Nein, ich glaube nicht, Schnaufer. Irgendwelche erbliche Einflüsse, freudvoll oder leidvoll, müssen schon viel früher in das Verfahren eingegriffen haben.»
«Ich meine vom psychologischen Standpunkt.»
«Ich glaube nicht, daß irgend jemand je eine psychologische Studie von Kindern, die von ihren Vätern entbunden wurden, gemacht hat. Ich nehme an, sie sind zum Großteil die Nachkommen von wunderlichen Käuzen, Eskimos und solchen Leuten.»
Es war ein elender Sommer für Alecs Brust gewesen. Er überlegte, ob es sich um ein Versagen seiner Psychologie oder der trockenen Londoner Luft handeln mochte, doch nahm er an, daß die Mädchen das Hauptübel seien.
Sein Onkel Graham hatte seine Entlassung aus der Schule in Kent bewerkstelligt, in die Alec mit der resignierten Fügsamkeit eines langfristig Gefangenen hineingewachsen war. Da sich Graham im geheimen verpflichtet hatte, den angehenden Heiler der Menschheit im Futter zu halten, fühlte er, er müsse auch einige Verantwortung für den Prozeß seiner Entwicklung aus einem hoffnungslos unterentwickelten, schmerzlich introvertierten, lautstark asthmatischen, vaterlosen Schuljungen in einen Arzt übernehmen. Die Schule entsetzte Graham. Eine erzieherische Monstrosität! Der Bursche würde nie sein erstes Rigorosum bestehen, nicht einmal seine Aufnahmeprüfung, am allerwenigsten in Latein, einem Fach, das jenseits der Lehrfähigkeit von Hosenknopfs Etablissement lag, aber von Cambridge so liebevoll gepflegt wurde wie seine anderen mittelalterlichen Reliquien. Er beschloß, Alec zu Mr. Turton in Kensington zu geben, einem «Pauker», der für seine Fähigkeit, selbst die schwachsinnigsten Söhne der Aristokratie für Oxford und Cambridge, Armee, Marine oder Kirche vorzubereiten, so daß sie in allen fünf Institutionen so wenig Schaden wie möglich anrichten konnten, hohes Ansehen genoß.
In Alecs Schule gab man nicht zu, daß Mädchen überhaupt existierten, da der Alte Hosenknopf sie für sündhaft hielt. Alle unreinen Gedanken - und die Gedanken eines Knabens über Mädchen hielt er immer für unrein, vermutlich mit Recht - mußten auf seinen strikten Befehl sofort aus dem Sinn verbannt werden. Er gab zu, daß dieses psychologische Manöver zuzeiten Sdhwierigkei-ten bereiten könne. Man solle dann einen verständnisvollen Erwachsenen um Rat bitten. Alec hatte einmal angefangen, Graham unreine Gedanken zu beichten, seinen Onkel aber verständnislos, beunruhigt und gar nicht hilfsbereit gefunden. In der leichtlebigen Atmosphäre von Mr. Turtons Examenfabrik aber waren
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