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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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den asiatischen Gesichtszügen, Körpermodell vier, die er, sobald er wieder arbeiten konnte, fertigstellen, in einen Karton verpacken und nach Helsinki schicken würde. Beide hatten schmale Hüften, kleine Brüste, einen glatten, schwarzen Bubikopf und dichte Ponysträhnen.
    »Die ist nicht zu Hause«, sagte sie und strich sich die Strähnen aus der Stirn hinters Ohr.
    Er war sich nicht sicher, ob er ihr glauben sollte. Warum war sie ihm wie ein Wachhund entgegengerannt?
    »Warten Sie mal«, sagte er und schaute ihr direkt ins Gesicht. »Ich muss nicht unbedingt mit ihr reden. Ich muss nur was abholen, das sie sich von mir geliehen hat.«
    Die Frau trat von einem Bein aufs andere, ohne Anstalten zu machen, ihn durchzulassen. »Können Sie nicht später noch mal wiederkommen?«, fragte sie. »Es ist im Moment ziemlich ungünstig.«
    »Nein, ich kann nicht später noch mal wiederkommen«, sagte er, und als sie zögerte, anstatt ihm das übel zu nehmen, war er sich sicher, dass sie wusste, was los war.
    Sie drehte sich um, trabte die Treppe hinauf und wies ihn an, ihr zu folgen.
    »Sie brauchen Ihre Schuhe nicht auszuziehen«, sagte sie, ohne sich im Türrahmen umzudrehen. Ohne ihn anzuschauen.
    Er folgte ihr in die Wohnung und stand tatenlos im Wohnzimmer, während sie sich mit verschränkten Armen auf einen großen Esstisch setzte.
    Das Erste, was er bemerkte, waren die verwelkten Topfpflanzen überall: auf den Fensterbänken, auf einer alten Anrichte und einem niedrigen Bücherregal. Eine weitere in einem dekorativen Topf auf dem Fernseher, ein rundes Spitzendeckchen
darunter. Was für Menschen fanden sich damit ab, zwischen toten Pflanzen zu leben? Gelbbraun und verstaubt. Keine Spur mehr von Grün, außer bei einem meterhohen Baum, der am Fenster thronte und noch zu leben schien, obwohl er die Hälfte seiner Blätter verloren hatte. Was für eine merkwürdige Vernachlässigung einer Wohnung, die ansonsten für seinen Geschmack etwas zu edel wirkte. Teure Designermöbel, ein ganzer Schrank voll handbemaltem dänischen und chinesischen Porzellan, goldene Tapeten, große persische Teppiche, Kissen und Polster aus Seidendamast. Was sollte dieser ganze bürgerliche Wohlstand darstellen? Lóa sah nicht aus wie eine Karrierefrau mit hohem Gehalt. Vielleicht hatte sie einen gut situierten Ehemann. Oder einen gut situierten Exmann?
    Als Nächstes bemerkte er, wie seltsam die Wohnung geschnitten war. Doppelte Deckenhöhe mit einer Galerie über dem Wohnbereich und der Küche, von der man in einen düsteren, völlig leeren Raum hinaufschauen konnte, so als hätte man geplant, dort eine Schlaf- oder Fernsehnische einzurichten, es aber nie durchgeführt.
    Die Tür, die früher einmal vom Flur auf den Dachboden geführt hatte, befand sich an der Decke über einem Schrank mit Glastüren. Aber eine Treppe fehlte, was darauf schließen ließ, dass es keinen Weg gab, auf diesen schönen Dachboden zu gelangen, den man so perfekt vorbereitet hatte.
    Sveinn drehte sich langsam im Kreis und musterte die halbfertige, kunstvolle Konstruktion in diesem ansonsten völlig normalen Haus, und erst da entdeckte er die erwachsene Frau, die auf dem Sofa saß und ihre Hand halb ausstreckte, als sei sie sich nicht sicher, ob sie ihn begrüßen sollte. Als sich ihre Augen trafen, stand sie auf, ging zu ihm und reichte ihm ihre Hand, die klein, seidenweich und knochig war.

    »Hallo«, sagte sie und wirkte unsicher, wenn nicht gar verängstigt. »Sind Sie Lóas Freund?«
    Er musste sie einfach anstarren.
    Seit Beginn der Produktion hatte er nur fünf »ältere« Puppen angefertigt, und es war ihm nie gelungen, die Fältchen um die Augen richtig hinzukriegen. Wie sehr er sich auch bemühte, sanfte Lachfältchen zu formen – immer verwandelten sie sich in seinen Händen in abweisende, verbitterte Züge.
    Die Frau, der er die Hand schüttelte, hatte genau die Falten, die er vergeblich versucht hatte zu formen. Worin lag der Unterschied? Auch er hatte die Falten bei seinen Puppen schräg nach oben zeigen lassen. Ihnen dieselbe Tiefe gegeben. Vielleicht fehlte dieser winzige Farbunterschied. In den Puppengesichtern wurden die Falten von den Schatten eher dunkler, aber echte Falten wirkten natürlich heller als das Gesicht selbst, weil sie besser vor dem Tageslicht geschützt waren.
    Die Frau zog ihre Hand zurück, schaute weg und dann auf die Schlinge, die sich quer über seine Brust zog, so, als warte sie auf etwas. Warum schaute sie ihn so an? Ach,

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