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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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natürlich, sie wartete auf eine Antwort.
    »Entschuldigung, ich … «, setzte er an, hatte aber keine Entschuldigung parat, also verdrehte er nur müde die Augen und begann noch einmal: »Nein, nicht direkt. Sie hat sich was von mir geliehen, und jetzt bin ich hier, um es zu holen.«
    Er schaute zu der jüngeren Frau, die ihm die Tür aufgemacht hatte. Sie zeigte mit dem Kopf auf einen kurzen Flur, der vom Wohnzimmer abging. Er folgte ihrem Hinweis, humpelte quer durch den Raum in den Flur und öffnete die erste Tür, die ihm in den Weg kam. Es war eine Abstellkammer: breite Regale, beladen mit Werkzeug, Spielsachen, Elektrogeräten, Taschen und Kisten.
    Die jüngere Frau stand auf einmal hinter ihm. Sie roch nach
Parfüm, aber er meinte, auch den Geruch von Angst wahrzunehmen. Irgendetwas Merkwürdiges ging hier vor, ein Grauen lag in der Luft.
    »Sie ist nicht hier«, sagte sie.
    Meinte sie Lóa oder die Schwarzhaarige?
    Er drehte sich zu ihr und wollte fragen, was los sei, aber da hatte sie ihm schon den Rücken zugekehrt und in der Türöffnung weiter hinten im Flur Position bezogen.
    »Ist sie da drin?«, fragte er, ohne genau zu wissen, über was oder wen sie eigentlich sprachen.
    »Ja«, antwortete die Frau, und ihrer zögernden Stimme nach zu schließen war sie sich auch nicht sicher, ob sie wirklich dasselbe meinten. Aber sie betrat das Zimmer und wollte offenbar, dass er ihr folgte.
    Es war ein großer, kahler Raum mit Parkettboden, wie in der ganzen Wohnung, einem Schreibtisch, einer Kommode, einem Schrank und einem großen Bett – und in dem Bett lag die Schwarzhaarige, mit einem Schlafanzug bekleidet, die Haare verfilzt und mit einem glänzenden, roten Herzchenaufkleber auf der Stirn.
    Sveinn erschrak so sehr, dass er nicht aufpasste und zu fest mit seinem rechten Fuß auftrat. Der Schmerz drang in sein Knie und bis hinauf in die Hüfte. Er kniff die Augen zu und stöhnte vor Schmerz, doch als er dem fragenden Blick der Frau begegnete, die schweigend neben ihm stand, riss er sich zusammen, reichte ihr die Hand und sagte: »Ich heiße Sveinn. Ich habe diese Puppe angefertigt …«
    Die Frau nickte und schüttelte seine Hand. Ihre langen, schlanken Finger waren eiskalt.
    »Björg«, sagte sie. »Ich bin eine Freundin von Lóa. Wie wollen Sie…?«

    Gute Frage. Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht. Normalerweise nahm er sie einfach auf die Schulter, wenn er sie transportieren musste. Sie wogen nur ungefähr fünfzig Kilo.
    Er hockte sich auf ihre Schienbeine, zog sie in eine sitzende Position, beugte sich über sie und stützte sich mit der rechten Schulter, der unverletzten, auf ihrem Bauch ab. Er versuchte, sich aufzurichten, aber sie war zu schwer. »Können Sie sie mal kurz anschieben?«, fragte er, und die Freundin kam näher, stützte mit der einen Hand den Rücken der Puppe ab und tastete mit der anderen herum, bis sie merkte, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als in ihren Schritt zu greifen und sie mit aller Kraft anzuheben, während Sveinn mit der krummen, auf seiner Schulter wippenden Puppe auf die Füße stolperte.
    »Der Schlafanzug …«, sagte die Freundin und verfolgte ausdruckslos seine Bemühungen, bis sich ein Grinsen über ihr Gesicht zog. »Me Tarzan, you Jane«, fügte sie hinzu und stieß ein hohles Lachen aus.
    »Ich schicke den Schlafanzug morgen oder übermorgen mit der Post«, sagte er und schleppte sich ins Wohnzimmer, wo ihn der Blick der älteren Frau traf, mit vor Erstaunen weit aufgerissenen Augen. Anscheinend war ihr die Schwarzhaarige noch nicht vorgestellt worden.
    »Auf Wiedersehen«, sagte er, ohne ihre Antwort zu hören, falls sie überhaupt etwas antwortete.
    Auf dem Treppenabsatz begegnete er Lóa, die sehr in Eile war und immer noch die Kleine dabeihatte.
    Er dachte, sie würde sich vielleicht erschrecken, Reue zeigen, sich entschuldigen, ihn mit wirren Erklärungen überschütten. Aber das war nicht der Fall. Sie wirkte zwar ein bisschen erschrocken, kniff die Augen zusammen und schnappte nach Luft, aber dann schien es ganz plötzlich so, als hätte sie vergessen,
dass er da war, als sei er ihr nur im Weg, etwas Großes, das ihr den Blick verstellte, und sie stürmte an ihm vorbei, mit dem Mädchen im Schlepptau, das aus irgendeinem Grund in lautes Heulen ausbrach. Er schaute ihnen nach und sah, wie dem Mädchen Tränen über die Wangen liefen und ihre Unterlippe sich nach unten bog und ihre Zähne freigab. Ihr Schluchzen echote von den Wänden, bevor

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