Der Schoepfer
hatte gerötete Wangen und verzog das Gesicht vor Anstrengung und wahrscheinlich auch vor Schmerz – er schien mit einem Fuß nicht richtig auftreten zu können.
Lóa rutschte das Herz in die Hose aus Angst oder Scham oder beidem. Sie hatte diesen Mann und seine Puppe vollkommen vergessen. Aber jetzt holte er sie sich zurück, und das war gut. Es war ihr vollkommen gleichgültig.
Es sei denn, er wollte sie bei der Polizei anzeigen oder hatte es sogar schon gemacht. Vielleicht war die Polizei in diesem Moment schon auf dem Weg zu ihr.
Dieser Gedanke verstärkte ihre Panik. Das durfte nicht passieren. Sie musste mit ihm reden, ihm anbieten, den Schaden zu begleichen, ihn um Entschuldigung bitten, ihm erklären, dass sie an jenem Morgen nicht ganz sie selbst war. Aber nicht sofort.
Sie traute sich nicht, ihm nachzulaufen, geschweige denn, ihm in die Augen zu schauen.
Ihre Mutter und Björg sprangen auf die Füße, als sie ins Wohnzimmer kam, ihre Mutter vom Sofa und Björg von einem der Esstischstühle. Sie traten ganz nah an sie heran, so als sei sie magnetisch oder als wollten sie sie stützen, damit sie nicht zusammenbrach. Björg breitete die Arme aus und umschlang sie, ihre langen Finger umschlossen die Rückseite ihres Halses. »Mach dir nicht zu viele Sorgen«, flüsterte sie, obwohl es keinen besonderen Grund gab zu flüstern, es sei denn aus Rücksicht auf Ínas zerbrechliches Seelenleben. Dann lockerte Björg ihren Griff und schaute über Lóas Schulter, die ihrem Blick folgte: Sveinn war wieder hereingekommen und damit beschäftigt, seine Fracht auf dem Sofa abzulegen.
Lóas Mutter ließ ihn nicht aus den Augen, sie versuchte offenbar, sich über seine Absicht klarzuwerden, war jedoch zu höflich, um zu fragen. Oder fürchtete sich vor der Antwort.
Lóa hatte keine Kraft mehr für erfundene oder glaubwürdige Erklärungen und traute sich immer noch nicht, mit dem Puppenmacher zu reden, also konzentrierte sie sich auf die beiden Frauen und dankte ihnen, dass sie gekommen waren.
Ína heulte lauthals und wiederholte immer wieder, dass sie nicht zu spät zum Geburtstag kommen wolle. »Margrét hatte total Recht«, plärrte sie. »Du bist immer zu spät. Ich werde immer ausgeschimpft, wenn ich zu spät komme, dabei kann ich gar nichts dafür.«
Lóa nahm die Hand ihrer Mutter und sagte: »Kannst du Ína mit zu dir nehmen? Darf sie heute bei dir übernachten?«
»Natürlich, Liebes.«
»Und kannst du ihr vielleicht ein Kostüm kaufen und mit ihr zu diesem Geburtstag gehen?«
»Wo bekommt man denn so was?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Lóa und rief Ína, die aus dem Wohnzimmer gelaufen war, hinterher: »Deine Oma geht mit dir ein Geburtstagsgeschenk und ein Elfenkostüm kaufen, Schatz, und ihr kommt bestimmt pünktlich!«
Ína antwortete nicht und musste wohl erst über die Sache nachdenken. Lóa schaute zu Sveinn, der damit beschäftigt war, sich umzusehen, fasziniert von den Umbauten, die allerdings erst zur Hälfte abgeschlossen waren. Vielleicht sollte sie versuchen, ihn aufzuhalten. Vielleicht würde es ihr gelingen, sich weitere Probleme vom Hals zu halten, wenn sie sich mit ihm anfreundete und ihn auf ihre Seite zog. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass alles vorbei wäre, wenn er den Diebstahl meldete. Dann würde die Polizei sie nicht mehr ernst nehmen oder ihr die Schuld an Margréts Verschwinden geben. Einer Diebin würden sie überhaupt nichts mehr glauben.
Lóa schaute schnell weg, als Sveinn den Kopf in ihre Richtung drehte, und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, aber es war, als sei ein Rauchmelder in ihrem Kopf angesprungen, seit sie gemerkt hatte, dass Margrét nicht wie verabredet vor dem Klassenzimmer auf sie wartete. Sie wusste noch nicht, wie sie den Lärm abstellen konnte, und in ihrem Kopf tobte ein ohrenbetäubendes Chaos.
Björg verschränkte die Arme und bohrte die Finger in ihre schlanken Oberarme: »Was hat die Polizei gesagt?«
»Ich soll morgen wiederkommen«, antwortete Lóa.
»Sie wird schon kommen, spätestens heute Nacht«, sagte Lóas Mutter und strich ihr sanft über die Hüfte.
»Das hat die Frau in dem Glaskasten auch gesagt«, entgegnete Lóa, und ein kurzes Lachen drang aus ihrer eingeschnürten Kehle.
»Welche Frau im Glaskasten?«, fragte Björg.
»Die im Foyer der Polizeiwache.«
»Ach, die! Die Bewacherin des Patriarchats!«, rief Björg. »Die gibt es also wirklich? Ich dachte immer, sie wäre ein Mythos.«
Sie lachten, und Lóas Mutter lachte
Weitere Kostenlose Bücher