Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
Vom Netzwerk:
am lautesten und heftigsten, mit tränennassen Augen wie ein beschwipster Kantor.

XI
Montagabend
    Lóa beugte sich über ihn, stützte sich mit der Hand auf seine Schulter – die unverletzte – und sagte etwas. Er hörte die Worte, verstand sie aber nicht, und obwohl Lóa mit leiser, deutlicher Stimme sprach, waren die Konsonanten wie Sprengstoffexplosionen, und die Vokale tauchten wie etwas Kaltes tief in sein Hirn.
    Sveinn lag halb auf der Schwarzhaarigen auf dem Sofa. Sein Körper war ausgekühlt, als sei er verprügelt worden. Lóa hatte unzählige Kerzen angezündet und die Vorhänge zugezogen, dicke, rote Samtvorhänge, und das Abendlicht versuchte, sich durch die Ritzen zu zwängen. Zu dieser Jahreszeit, wenn es rund um die Uhr hell war, zündeten die Leute normalerweise keine Kerzen an.
    Sie waren allein im Wohnzimmer, und er musste an den unglücklichen Schriftsteller in Stephen Kings Roman Sie denken. An den Mann, der im Haus einer Verehrerin gefangen gehalten wurde, einer geisteskranken Frau, die ihm die Knie mit einem Hammer zertrümmerte, damit er nicht fliehen konnte.
    Ein Schauer lief ihm über den Rücken, aber die Angst saß nicht allzu tief. Eigentlich amüsierte er sich darüber, dass er so hilflos, benommen und verschreckt dalag. Was dachte er sich nur dabei, sich im Haus seines Henkers schlafen zu legen? Fast
so, als dränge er sich auf – als lege er es darauf an, dass sie ihm etwas antat.
    Er richtete sich auf und legte seinen Arm in der Schlinge zurecht. Jetzt erinnerte er sich daran, dass sein Kopf schwer geworden und für einen Moment auf den Rand des Sofas gesunken war, die Puppe neben ihm, frisch frisiert und zurechtgemacht. Er hatte sich ein klein wenig erholen, dann unter vier Augen mit Lóa sprechen, die ganze Sache zu Ende bringen und nach Hause fahren wollen. Hart bleiben wollen, falls sie abweisend reagieren würde. Ihr ebenfalls drohen wollen, falls sie ihm drohen würde. Weiter hatte er nicht darüber nachgedacht. Aber offenbar war er eingeschlafen, wie auch immer er das in dieser grotesken Haltung geschafft hatte, und jetzt stand die Hausherrin vor ihm und sagte, sie hätten vergeblich versucht, ihn zu wecken. Das rote Dreieck auf der Tablettenschachtel war wohl doch nicht nur zur Verzierung angebracht.
    Sveinn ließ sich von Lóa in das Zimmer führen, in dem die Schwarzhaarige gelegen hatte.
    »Wo sind die anderen?«, fragte er, als sie eine Bettdecke mit cremefarbenem Bezug über ihn breitete.
    »Ína ist bei meiner Mutter, und Björg hat Schicht im Landeskrankenhaus. Sie ist Krankenschwester«, antwortete Lóa. Sie war zwar hilfsbereit und freundlich, aber so distanziert, dass er sich fühlte, als hätte er etwas verbrochen. Höchst widersprüchlich.
    Lóa schaltete das Licht aus, als sie den Raum verließ, und er hörte, wie sie sich schwerfällig an den Esstisch setzte, auf die Tastatur ihres Laptops einhämmerte und mit einem Stift etwas auf ein Blatt kritzelte. Das war zumindest das, was er angesichts der Geräusche aus dem Wohnzimmer vor sich sah.
    Sveinn zog das Handy aus seiner Tasche und sah, dass Lárus
zweimal angerufen, die Stalkerin aber keinen Mucks von sich gegeben hatte. Warum sollte sie ihn auch anrufen, wenn er schlafend bei ihr in der Wohnung lag? Alle Zeichen deuteten in dieselbe Richtung, und Sveinn fand es auf einmal albern, weiter um den heißen Brei herumzuschleichen. Es war nun mal das Gesetz des Dschungels, dass man bei solchen Dingen hart durchgreifen musste, sonst weiteten sie sich aus, bis sie einem über den Kopf wuchsen. Wenn der Karren schon samt Inhalt vor die Wand fuhr, wollte er zumindest die Hand am Steuer haben.
    Er sah Lóa in einem grünen Abendkleid mit langen, rotlackierten Fingernägeln vor sich, wie sie Gift aus einer smaragdverzierten Kapsel in Kelche mit blutrotem Wein goss. Um sie herum brannten überall Kerzen.
    Sveinn schüttelte die Tablettenschachtel, und ihm gefiel nicht, was er hörte. Er ließ die restlichen Tabletten in seine Handfläche fallen und zählte eine, zwei, drei. Eine musste wohl erst mal reichen, obwohl er am liebsten alle genommen hätte. Nachdem er die Tablette mit den Zähnen zermalmt und unter Schwierigkeiten runtergeschluckt hatte, blieb ein bitterer Geschmack zurück. Sein Mund fühlte sich an wie mit Papier ausgelegt. Er brauchte unbedingt Wasser.
    Die Bettdecke war leicht und warm und duftete nach Weichspüler, und es fiel ihm schwer, sie wegzuschieben und sich auf die Bettkante zu setzen. In seinem

Weitere Kostenlose Bücher