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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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könnte sie sich denn am ehesten aufhalten?«, fragte Lóa. »Wo ist die Bibliothek?«
    »Die ist geschlossen«, sagte der Mann.
    »Wo könnte sie sich denn sonst aufhalten? Sie müssen mir helfen, sie ist schwer krank, ich möchte nicht, dass sie irgendwo alleine rumläuft…«
    »Ist sie nicht einfach zu Fuß nach Hause gegangen oder mit dem Bus gefahren?«, fragte der Mann.
    »Ohne ihr Handy mitzunehmen? Das glaube ich kaum.«
    Der Mann schaute ratlos zu einer der Frauen, der Stämmigen mit dem knielangen Rock, der weißen Bluse und den hellen Strähnchen in den kurzen Haaren.

    »Hier wurde niemandem mitgeteilt, dass ein krankes Mädchen an der Prüfung teilnimmt«, sagte sie. »Vielleicht hätten wir auf sie geachtet, wenn wir Bescheid gewusst hätten.«
    Margrét hatte diesen Einfluss, selbst wenn sie gar nicht anwesend war – die Leute rissen sich darum, die Verantwortung von sich zu schieben.
    »Wie heißt sie denn, die Arme?«, fragte die Frau.
    »Margrét«, antwortete Lóa. »Margrét Hjálmarsdóttir aus der Zehn A.«
    Lóa sah ihnen an, dass sie wussten, wer Margrét war. Wahrscheinlich war sie eines der spannendsten Gesprächsthemen im Lehrerzimmer. Die Bohnenstange aus der Zehn A, die immer so fleißig lernte.
    »Vielleicht ist sie nur kurz aufs Klo gegangen«, sagte die junge Frau mit dem Strickzeug.
    Die dritte Frau, die bisher noch nichts gesagt hatte, zog ihren Mantel an und machte eine große, verschlissene Ledertasche zu. Sie quetschte sich an Lóa vorbei, legte ihr ihre hübsche, weiße Hand auf die Schulter, schaute sie mitfühlend an und sagte leise: »Viel Glück, meine Liebe.«
    Lóa fühlte sich, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggerissen. Ein Teil von ihr hätte sich dieser Frau, die im Alter ihrer Mutter war, am liebsten in die Arme geworfen, ihr Mitgefühl ausgekostet und sie um Hilfe angefleht.
    Doch sie wich der Berührung instinktiv aus, als könne sie damit einen schlechten Vorboten von sich stoßen. Wie konnte sich diese fremde Frau erlauben, sie anzuschauen, als sei Margrét so gut wie tot? Als sei ihr körperlicher Tod nichts anderes als eine Formalität, die noch erledigt werden müsste.
    Das ungestüme Wetter zwängte sich durch die Haustür, sobald sie aufgemacht wurde, und die Tür schlug im Wind, anstatt
sich, wie vorgesehen, langsam wieder zu schließen. Die Frau mit der verschlissenen Ledertasche bemerkte es nicht – sie flog fast um die Ecke, ohne sich noch einmal umzuschauen, und es war, als würde das Haus explodieren. Lóa konnte nichts mehr hören und schreckte zusammen, als der Mann an ihr vorbeieilte. Er ging mit schnellen Schritten zur Haustür und zerrte mit aller Kraft daran – erst am Türgriff, aber der flutschte ihm wie ein kleiner Hering aus der Hand. Dann zog er an der Tür selbst, direkt oberhalb des Schlosses.
    Der Wind legte sich für einen Moment, lange genug, die Tür zuschlagen zu lassen. Der Mann riss seine Hand zurück, aber es war zu spät: Der vorderste Knöchel seiner linken Hand geriet dazwischen – Lóa sah es genau, wie in Zeitlupe, und der Mann taumelte von der Tür weg und stieß einen langgezogenen Schrei aus. Die Farbe wich aus seinen Wangen, sogar seine Lippen wurden bleich, und er presste die Hand an seinen Bauch, schirmte sie mit seiner rechten Hand ab und zitterte, den Blick auf den Boden gerichtet und die Augen weit aufgerissen wie ein scheues Pferd.
    Lóa drehte sich der Magen um, sie wusste nicht, ob vor Schreck oder Mitleid, und sie machte den Weg frei, damit die beiden Frauen vorbeikamen. Danach ging alles sehr schnell. Die ältere Frau legte dem Mann den Arm um die Schulter und führte ihn behutsam zur Tür. »Puh, das sieht aber nicht schön aus«, sagte sie, »die ist bestimmt gebrochen.«
    Die Jüngere rannte zurück ins Lehrerzimmer und holte ihre Mäntel und Taschen. Dann verschwanden sie alle durch die Haustür und ließen sie wieder offen stehen. Und Lóa bekam von der Zugluft wieder Druck auf den Ohren.
    Sie hörte ein klirrendes Geräusch aus dem Lehrerzimmer, ging hinein, trat ans offene Fenster und sah, dass ein leeres Glas
von der Fensterbank gefallen und auf dem Bürgersteig zerbrochen war.
    Als sie das Fenster zumachte, legte sich Stille wie Dunkelheit über alles, und Lóa hörte wieder ihre eigenen Gedanken und Schritte, als sie das Licht ausschaltete und in den Flur trat. Der Wind zerrte immer noch an der Haustür, schien aber nicht mehr die Absicht zu haben, das Gebäude aus den Angeln zu

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