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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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er krank ist?«
    »Muss nicht sein«, antwortete Björg. »Man braucht viel Schlaf, wenn man was gebrochen hat. Er hat bestimmt zu viele Schmerztabletten genommen. Hältst du ihn für einigermaßen harmlos?«
    »Er wirkt nicht gerade gefährlich«, antwortete Lóa.
    »Ruf mich an, wenn du mich brauchst«, sagte Björg hastig. »Ich muss jetzt aufhören. Bis morgen, Süße.«
    Lóa musterte Sveinn weiter: sein dunkles, leicht ergrautes, fettiges Haar – entweder von Haargel oder von Schmutz –, seinen schlanken Körper, den ein Bäuchlein im Anfangsstadium zierte. Der hervorstehende Bauch war eigentlich das sympathischste an ihm und die dichten Augenbrauen, die an die Bauern auf dem Land erinnerten, wo sie bis zu ihrem sechsten Lebensjahr aufgewachsen war – bis ihr Vater beschloss, Taxifahrer in Reykjavík zu werden.

    Sie musste an ihren Großvater väterlicherseits denken, der vom Schuften ganz krumm gewesen war und dessen Gürtel sich im Lauf der Jahre langsam über seinen Bauch nach oben geschoben hatte, bis er fast am Krawattenknoten angelangt war. Warum hatte ihr Vater es ihm nicht gleichgetan? Sie hätte nie gedacht, dass er seinen Eltern so schnell ins Grab folgen würde.
    Plötzlich traute sich Lóa nicht mehr, Sveinn, der im Schlaf die Unschuld in Person war, aber gleichzeitig mit der Puppe halb unter sich so derb und vulgär wirkte, weiter anzuschauen. Sein einer Arm hing auf den Boden, während der andere kraftlos auf dem Bauch der Puppe lag, unter ihren Brüsten, die sich unnatürlich steif unter der Flanelljacke wölbten. Seine Hand war in ihrem Haar vergraben.
    Lóa stand langsam auf und sagte ein paar Mal seinen Namen, aber er blieb wie tot liegen. Da griff sie nach seiner unverletzten Schulter und schüttelte ihn, erst vorsichtig, dann energischer.
    Er jammerte und sah sie mit zusammengekniffenen Augen erschrocken an.
    »Du kannst dich gerne ins Schlafzimmer legen«, sagte sie, aber er schien sie nicht zu verstehen, daher reichte sie ihm ihren Arm und führte ihn aus dem Wohnzimmer. Im Flur zögerte sie, weil sie sich nicht sicher war, wo sie ihn hinbringen sollte. Ínas Bett war zu klein, und es schien ihr unpassend, ihm ihres anzubieten, also führte sie ihn in Margréts Zimmer und holte die Bettdecke, die Björg immer benutzte, wenn sie auf dem Sofa übernachtete.
    Als sie Margréts Bettzeug im Schrank verstaut und die Gästedecke über ihn gebreitet hatte, fragte sie ihn, ob er noch etwas bräuchte, aber er schien sie nicht zu hören.
    Da beschloss sie, ihn sich selbst zu überlassen, setzte sich wieder an den Computer im Esszimmer und suchte weiter
Telefonnummern raus. Eigentlich hatte sie Margréts ehemalige Freundinnen nicht anrufen wollen, weil sie sich sicher war, dass sie keinen Kontakt mehr zu ihnen hatte, aber nachdem die vielen Stunden sie zermürbt hatten, fand sie das besser als gar nichts zu tun.
    Kurze Zeit später war Sveinn auf den Beinen, humpelte an ihr vorbei, ohne sie anzusprechen, und sie hörte, wie er im Bad eine ganze Weile das Wasser laufen ließ. Dann setzte er sich ihr gegenüber an den Tisch, so als hätte er eine Art Aussprache im Sinn.
    Lóa wusste nicht mehr, ob sie sich schon bei ihm entschuldigt hatte. Wahrscheinlich schon, und es war blöd, es noch mal zu tun. Er würde das so auffassen, als verlange sie Absolution von ihm, dass er ihr verzeihen und ihr sagen würde, es sei alles in Ordnung.
    Wobei das tatsächlich genau das war, was sie wollte, wenn sie ehrlich zu sich selbst war.
    Sveinn beugte sich über den Tisch, fixierte sie über den Computerbildschirm hinweg und sagte: »Ólöf, genannt Lóa, heißt du Hansdóttir?«
    Sie verstand nicht, was er damit meinte. Die Frage war absurd und konnte kaum ernst gemeint sein.
    Seine Nähe war erdrückend und hielt sie von dem ab, was sie tun musste, deshalb war sie froh, als er einwilligte, in die Küche zu gehen.
    Bei Nadía, Margréts einstiger besten Freundin, meldete sich niemand am Telefon, daher wandte sich Lóa der nächsten auf der Liste zu, Agla Steinunn. Margrét und sie waren eine Zeit lang wie kichernde siamesische Zwillinge gewesen.
    Der Vater des Mädchens ging ans Telefon: »Sie ist schon im Bett.«

    »Es geht um Margrét«, erklärte Lóa. »Sie ist von der Schule nicht nach Hause gekommen.«
    »Möchten Sie, dass ich sie wecke?«, fragte er barsch. Der Mann klang nicht so, als halte er Margrét für einen gesunden Umgang für seine früh zu Bett gehende Tochter.
    »Nein, das ist nicht nötig«,

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