Der Schoepfer
Blick aus dem Fenster, wobei sich ihr Gesicht zu einer Grimasse verzog, als bereite ihr ihre eigene Grausamkeit Schmerzen.
»Ich weiß, dass das unentschuldbar ist«, sagte sie. »Aber ich war nicht mehr ich selbst. Ich gebe zu, dass ich nicht darüber nachgedacht habe, wie das für dich ist, aber ich stehe in letzter Zeit stark unter Druck und ich…«
Sie verstummte und schaute ihn unsicher an, als läge ihr Schicksal in seiner Hand, und fügte hinzu: »Gibt es irgendeinen Grund, Außenstehende da mit reinzuziehen?«
»Tja, ich weiß nicht«, entgegnete er und schnaubte, mehr aus Verwunderung. »Wen denn zum Beispiel?«
»Zum Beispiel die Polizei. Wäre die Sache nicht erledigt, wenn ich dir den Schaden begleiche? Sag mir einen Betrag, innerhalb nachvollziehbarer Grenzen natürlich, und ich bezahle.«
Diese Frau war unglaublich. Am Telefon total abgebrüht, als wäre ihr ihr Ruf völlig egal, und jetzt stand sie vor ihm, demütig und verwundbar, und flehte ihn um Diskretion an. Das stärkte womöglich die Argumentation derer, die behaupteten, man sei zu allem fähig, solange man anonym blieb.
»Es ist nicht ganz leicht, eine Summe auszurechnen, wenn man den seelischen Schaden in Betracht zieht, Fräulein«, sagte er und lachte trocken. Das war vielleicht nicht ganz ernst gemeint, aber er konnte sich nicht zurückhalten, sie ein bisschen zu piesacken.
»Ja, natürlich«, entgegnete sie.
»Wie soll ich denn jetzt noch ruhig schlafen? Wie soll ich mich auf meine Arbeit konzentrieren, wenn ich ständig solchen Belästigungen ausgesetzt bin? Man wird unweigerlich vorsichtig und nervös, wenn auf diese Art in jemandes Privatsphäre eingedrungen wird.«
»Verstehe«, sagte Lóa, obwohl sie keineswegs so aussah, als verstehe sie etwas.
»Ich weiß ja nicht, inwiefern du davon profitieren wolltest«, sagte er.
»Ich wollte gar nicht davon profitieren.«
»Sollen wir das Kriegsbeil dann nicht begraben?«
Sie nickte langsam und schlug in seine ausgestreckte Hand ein. »Danke, dass du es so gut aufgenommen hast«, sagte sie, und der fragende Tonfall in ihrer Stimme brachte ihn völlig durcheinander. Es war, als würde sie das, was sie sagte, gar nicht richtig meinen. Als halte sie ihn für überempfindlich.
»Mein herzliches Beileid wegen deinem Vater«, sagte er, erstaunt über sich selbst, dass er ihren ungerechtfertigten Forderungen derart entgegenkam.
Sie schaute ihn eine Weile an, wobei sich die Falte zwischen ihren Augen vertiefte, sagte dann »vielen Dank« und ging weg. Ging mit dem Telefon in die Küche und sprach in den Hörer, ohne dass er ein Wort verstand.
Sveinn dachte im Stillen, dass anscheinend die komplizierten Gefühle für ihren Vater der Schlüssel waren, mit dem man zu Lóa durchdrang. War sie einfach nur wütend oder empfand sie noch etwas für ihn, obwohl er sie auf so schreckliche Art und Weise im Stich gelassen hatte? Und warum war sie von einem fremden Puppenmacher besessen? Der alte Mann hatte bestimmt keinen Brief hinterlassen, in dem er die arme Puppe für sein tödliches Unglück verantwortlich machte.
Nein, Lóa musste eines dieser Papakinder sein, die ihren Vater wie einen Gott anhimmelten und es nicht ertragen konnten, dass ein Schatten auf ihr Idealbild fiel. Sie konnte ihre Wut nicht gegen ihren Vater/Gott richten, weil sie damit zugeben würde, dass er nicht vollkommen war. Deshalb ließ sie alles an Sveinn aus. Was, genauer betrachtet, eine gewisse Ehre für ihn war – ein Stellvertreter des allmächtigen Vaters zu sein.
Danke, dass du es so gut aufgenommen hast? Keine Ursache, meine Liebe. Keine Ursache.
XIV
Mittwoch
Lóa erwachte mit dem Arm auf Sveinns Taille und der Nasenspitze an seinem Rücken, und einen Moment ging es ihr gut. Oder zumindest fühlte sie sich auf neutralem Gebiet, wie ein Welpe in einem Körbchen voller Welpen, der den Unterschied zwischen seiner eigenen pelzigen Wärme und der pelzigen Wärme seiner Geschwister noch nicht begriffen hat. Das Gefühl währte jedoch nicht lange, dann packte sie die Klaue der Wirklichkeit und stieß ihre Schnauze in die Urinpfütze, zu der ihr Leben geworden war. Rasch zog sie die Hand von Sveinns Bauch und fiel fast aus dem Bett in ihrem verzweifelten Bestreben, so weit wie möglich von ihm wegzukommen, bevor er sie bemerkte. Ihre Jeans war klamm vor Schweiß und ihre Bluse feucht und zerknittert. Mit einem blutigen Geschmack im Mund hastete sie durch die Wohnung, spähte in jede Ecke, so als könne Margrét mit
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