Der schottische Seelengefährte (German Edition)
Musik mit. Sie seufzte. Ihre Mutter hatte den Tanz geliebt und war zu Dudelsackklängen vor ihrem Vater durch die kleine Küche gewirbelt. Ihr Gesicht hatte gestrahlt und sie war Mary nie glücklicher und unbeschwerter vorgekommen. Sie hätte dies hier geliebt und wieder keimte Unverständnis in ihr auf, dass ihre Mutter nie wieder hierher gekommen war. Sie verband die traurigen Gedanken und konzentrierte sich wieder auf ihr kleines Programmheftchen und folgte dem Rundgang.
In den nächsten Stunden durchwanderte sie den Wohnturm, der früher aus drei Etagen bestanden hatte. Das Kellergewölbe, das in den Felsen gehauen worden war, erinnerte sie unbehaglich aneine Gruft. Kalte, abgestandene modrige Luft, die an Verwesung erinnerte, kroch ihr unangenehm in die Nase und verursachte ihr einen Ekelschauer. Zwar wurde im Prospekt beschrieben, dass der Keller zur Vorratshaltung genutzt worden sei, doch ließ die muffige, alte Luft andere Assoziationen vor ihrem geistigen Auge erscheinen. Resolut schüttelte Mary ihr Unbehagen ab und kletterte so schnell es die glitschigen Stufen erlaubten, wieder an die frische Luft.
Leider standen vom Wohnturm nur noch Fragmente der Außenmauern und Andeutungen der zwei Zwischendecken, so dass man vieles nur noch erahnen konnte. Aber der zugige Wohnbereich mit dem riesigen Kamin war früher sicherlich eine große gemütliche Halle gewesen, in der sich die Burgbewohner zu den Mahlzeiten und anderen Feierlichkeiten getroffen hatten. Mary versuchte sich auszumalen, wie das Leben hier wohl gewesen sein mochte. Über der Halle die Schlafräume, damit sie die Wärme von unten mitnutzen konnten, eventuell sogar mit einem eigenen Kamin versehen. Sie seufzte, zu schade, dass die Burg nicht besser erhalten war.
Die Aussicht aus den Fenstern war einfach überwältigend. Durch die besondere Lage auf einer vorgelagerten Landzunge hatte man eine weite Sicht zu beiden Seiten entlang der Küste. Ins Landesinnere sah sie die leicht hügeligen grünen Weiden, auf denen das saftiges Gras eine willkommene Delikatesse für die Schafe nach dem langen, kalten Winter nur mit Heu war. Sie legten sich wie ein grüner Teppich über die gesamte Küstenregion und schienen sich meilenweit auszubreiten. Am Ende war sogar das Gasthaus leicht verschwommen auszumachen. Der Nieselregen hatte nachgelassen und die Natur um sie herum strahlte in kräftigen Farben wie frisch gewaschen zu ihr hoch.
Sie drehte den Kopf und ließ ihren Blick langsam über das weite Meer schweifen. Das Wasser war rau und aufgewühlt, mächtige Wellen brachen sich tosend an den Klippen. Leider konnte sie die vorgelagerten Inseln nicht sehen, dazu war die Sicht zu schlecht. Ein Stück die Küste hinunter sah sie die Mündung eines kleinen Flusses, in der sich das klare Quellwasser mit dem salzigen Meerwasser vermischte.
Mary erinnerte sich wieder an die wenigen Dinge, die ihre Mutter in seltenen Momenten aus ihrer Heimat beschrieben hatte, wenn das Heimweh besonders stark wurde.
„Du schaust in diese unendliche Weite, wo der Himmel mit dem Meer verschmilzt und fühlst nichts als friedliche Ruhe“ hörte Mary ihre Mutter verträumt sagen.
Vielleicht habe ich morgen mehr Glück, dachte Mary und musste bei dem Gedanken an den sehnsuchtsvollen Blick ihre Mutter bei diesen Worten schwer schlucken. Schnell blinzelte sie die aufkommenden Tränen weg und ließ den Blick weiter um sich schweifen. Von hier oben hatte sie auch eine hervorragende Aussicht auf den gesamten Innenhof. Sie sah die kleine Kapelle, von der nur noch die Grundmauern standen, daran anschließend die ehemalige Mühle und Backstube, weiter hinten die Tierställe für Hühner, Schweine und Pferde. In der Mitte, wie könnte es anders sein, die ehemalige Brauerei. Auf der linken Seite waren die Soldatenunterkünfte und weitere kleinere Wohnkaten, auch ein großer alter Brunnen lag in unmittelbarer Nähe. Alles was man brauchte, um völlig unabhängig zu sein, hier hatte sich jemand richtig Gedanken gemacht. So langsam wurde es dunkler und Mary wollte unbedingt noch einen der Wege auf dem Klippenkamm erkunden, bevor sie zurück zum Gasthaus ging. Auch die Vorbereitungen für das morgige große Fest gingen langsam dem Ende entgegen. Es wurde eingepackt und einige Leute liefen schon den steilen Pfad zurück in Richtung Dorf. Nach einem Blick über die Umgrenzungsmauer entschied sie jedoch, dass es sicherer war, morgen wieder herzukommen. Denn bei den rapide schlechter werdenden
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