Der schottische Verfuehrer
andere Ursachen vorstellen kann, will ich dir folgen.“
„Die Bibel ist hier. Ich spüre es.“ Duncan wirkte nicht sehr überzeugt, aber Isabel wusste tief im Herzen, dass sie recht hatte. „Warte. Warum erinnere ich mich erst jetzt? Manchmal, wenn Frasyer mit mir redete, habe ich einen merkwürdig säuerlichen Geruch an ihm bemerkt. Ich dachte, der käme von seinen anstrengenden Ausritten, aber ich hätte den Geruch schon damals erkennen können. Er roch nach dem Verlies.“
„Gut, wir werden es als Erstes durchsuchen“, sagte Duncan. „Aber selbst wenn dort im Augenblick keine Wachen postiert sind, werden sie dort früher oder später wieder auftauchen.“ „Dann sollten wir uns beeilen.“
Sie gingen zurück, und Duncan drückte gegen die Geheimtür. Er blickte sich kurz in dem klammen Verlies um, dann trat er ein. „Bleib dicht bei mir.“
Die regelmäßig angebrachten Fackeln gaben ein gelbliches Flackern von sich und ließen jede Bewegung auf den feuchten Steinwänden wie ein makabres Schattenspiel wirken.
Isabel schaute den Gang hinab. „Wo sollen wir beginnen?“ „Lass uns einmal überlegen“, entgegnete Duncan. „Ich bezweifle, dass Frasyer irgendetwas Wertvolles in einer der Zellen aufbewahren würde.“
„Wohl kaum. Was aber, wenn eine der Türen nicht zu einer Zelle führt?“
„Nay“, meinte Duncan. „Als ich nach dir gesucht habe, habe ich in fast jede der Zellen geschaut.“
„Aber nicht in alle.“
Er lächelte. „Stimmt, nicht in alle. Gut, dann werden wir zuerst in jene Zellen schauen, die ich ausgelassen habe.“ Er deutete auf mehrere Zellentüren am Ende des Gangs. „Die vier dort habe ich nicht überprüft.“
Ihr Blick fiel auf die Tür, hinter der sie gefangen gehalten worden war. Vom Geruch wurde ihr übel, und sie fühlte sich ganz elend, so nahe bei ihrem ehemaligen Gefängnis.
„Isabel?“
„Mir geht es gut.“ Es war eine Lüge, aber sie musste jetzt durchhalten. „Ich kümmere mich um die beiden Türen rechts.“
Er nickte ihr zu.
Isabels Magen rebellierte, während sie den klammen Gang hinabeilte. Das entfernte Stöhnen der Männer erinnerte sie deutlich an das, was Duncan und ihr drohte, wenn sie gefasst wurden. Das heißt, falls Frasyer sie nicht auf der Stelle töten ließ.
Sie schaute durch einen Spalt in den Holzbrettern der ersten Tür, wobei sie befürchtete, einen von seinen unglücklichen Gefangenen zu erblicken. Schwach fiel Tageslicht durch das schmale Loch in der Mauer gegenüber. In der Zelle sah sie lediglich einen Strohhaufen.
„Ist dort etwas?“, flüsterte Duncan.
„Nein.“
„Hier auch nicht.“
Isabel ging rasch zur letzten Zelle und schaute durch einen Schlitz hinein. Nichts. Der Mut verließ sie. „Siehst du etwas?“, fragte sie und wünschte, er möge erfolgreicher sein als sie.
„Nichts als eine weitere leere Zelle.“
Sie griff nach ihrer Kette mit Wallaces Abzeichen daran. „Verdammt sei Frasyer! Wo könnte es hier sonst noch einen geheimen Raum geben?“
Duncan schüttelte den Kopf und begab sich in Richtung der Geheimtür. „Wir müssen in seine Gemächer zurück und uns eine Verkleidung besorgen, in der wir die Suche fortsetzen können.“
Isabel eilte ihm hinterher.
„Außer den Zellen“, meinte sie, „gibt es hier nur noch die Treppe, die zum Saal hinaufführt. Vielleicht findet sich ja oben an der Treppe ein Wandpaneel, hinter dem eine Höhlung verborgen ist.“
Er schüttelte den Kopf. „Wenn überhaupt ein Geheimversteck existiert, dann könnte das überall sein.“
Ihre Aussichten waren nicht sehr groß, irgendwo in der Burg noch eine Geheimtür zu finden. Und jeder Moment, den sie mit der Suche verschwendeten, würde ihnen später auf dem Weg zu
Lord Monceaux fehlen. Isabel ließ den Blick noch einmal durch den Gang schweifen.
„Wir sollten die Treppe untersuchen, ehe wir das Verlies verlassen.“
Duncan runzelte die Stirn. „Aye, das Risiko müssen wir wohl eingehen. Sobald sich jemand nähert, begeben wir uns aber sofort zum Geheimgang.“
Um sich herum vernahmen sie das Stöhnen der Gefangenen, während sie zur Treppe eilten.
Die Erinnerungen an das Geschehen vor einigen Tagen stürmten auf Isabel ein: Wie Duncan in ihrer Zelle aufgetaucht war, als sie schon geglaubt hatte, für immer hier unten bleiben zu müssen; wie sie in die Verkleidung geschlüpft war, die er mitgebracht hatte; wie er bei ihr geblieben war, als sie ihm offenbart hatte, ohne die Bibel nicht gehen zu können;
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