Der schottische Verfuehrer
nur hatte sie geglaubt, sich von ihm trennen zu können, obwohl sie ihn doch mit jeder Faser ihres Körpers begehrte? Während sie die letzten drei Jahre in Frasyers Burg eingeschlossen war, hatte sie sich unzählige Male vorgestellt, mit Duncan zusammen zu sein. Keine ihrer Vorstellungen kam dem Moment jetzt auch nur nahe.
Das rhythmische Trotten des Pferdes wirkte auf seltsame Weise tröstend auf Isabel. Duncans Arm umschloss sie, sicher und warm. Sie wollte ihn überall berühren und seine festen Muskeln fühlen. Zumindest einmal im Leben wollte sie nur ihm gehören und sich ganz den überwältigenden Gefühlen hingeben, die auf sie warteten. Es konnte gar nicht anders als überwältigend sein.
Plötzlich drangen durch die schwarze Wolkendecke einzelne Sonnenstrahlen und schienen die geschlossenen Wolken zu zerreißen. Dabei brauchten sie den Schutz des Zwielichts so dringend, um nicht gesehen zu werden. Je länger ihre Reise dauerte, umso größer die Gefahr, dass man sie entdeckte und gefangen nahm - zumal mit dem lahmenden Pferd.
Morgen würden sie in Rothfield Castle ankommen und Lord Monceaux die Bibel überreichen. Man würde ihren Vater freilassen, und sie, so dachte Isabel verzweifelt, würde wieder in jenes kalte, brutale und leere Leben unter Frasyers Befehl zurückkehren.
Aber heute Nacht... Heute war die letzte Nacht mit Duncan. Mit ihm alleine.
Ohne dass sie Rücksicht auf Anstand oder neugierige Blicke nehmen mussten.
Sie mochte es sich noch so sehr wünschen: Ihr Leben würde sich nicht ändern, auch nicht, nachdem sie die Bibel Lord Monceaux übergeben hätten. Denn da waren die Spielschulden ihres Vaters, die noch immer nicht beglichen waren und wegen denen ihm weiterhin das Schuldgefängnis und der Verlust des Familiensitzes drohten.
Sie war tief in ihren Gedanken gefangen. Die gleichmäßige Bewegung des Pferds zusammen mit der Kraftlosigkeit und dem Trost, den sie in Duncans Armen fand, ließen sie immer wieder kurz in einen unruhigen Schlaf fallen. Sein Zustand machte ihr immer noch Kummer. Sie hatte sehr wohl gesehen, wie er gelegentlich seinen verletzten Arm geschont hatte, wenn er dachte, sie würde es nicht bemerken.
Während des Tages hatten sie zweimal durch das Heulen des Windes hindurch in einiger Entfernung Männer rufen hören. Obwohl die abendliche Sonne sich vehement durch die Wolken kämpfte, ließ der Wind nicht nach und drang quälend durch die Kleider bis auf die Haut.
Duncan lenkte das Pferd über einen vereisten Fluss. Wo der Schnee vom Wind beiseitegefegt war, konnte man im Flussbett Steine erkennen sowie dunkle Flecken, die auf eine Strömung weit unten hinwiesen.
Isabel sah die weiß bedeckten Hügel vor sich und den kahlen Wald, in dem nur einige tapfere Tannen mit ihrem Grün auffielen. „Wie weit ist es noch bis zu dem Unterstand?“
Er zog sie an sich und meinte aufmunternd: „Nicht mehr weit.“
Auf der nächsten Anhöhe hielt er an und suchte die gesamte Umgebung sorgfältig ab, wie er es schon den ganzen Tag getan hatte.
Isabel war müde, und sie hatte weder einen Blick für die rotgoldenen Strahlen des Sonnenuntergangs, die die schneebedeckten Tannen verzauberten, noch für den Hasen, der mit weiß bestäubtem Fell nicht weit entfernt übers Feld sprang.
Duncan wies zum nächsten Hügel vor ihnen. „Siehst du den dichten Tannenhain oben auf dem Hügel? Die verlassene Hütte ist dort, verborgen unter den Bäumen. Da werden wir uns ausruhen.“
Sie kniff die Augen zusammen, dennoch entdeckte sie die Hütte nicht. „Ich sehe nichts.“
„So soll es auch sein.“
Sonst sagte er nichts. Und sie fragte nicht. Als einer der Re-bellen kannte er sicher jede geringste Einzelheit in diesem Landstrich, um die englischen Kämpfer aus dem Verborgenen anzugreifen und schnell wieder zu verschwinden.
So wie Symon auch.
Der Gedanke an ihren Bruder wühlte sie auf, und sie blieb still. Ihr Weg heute war anstrengend gewesen und dennoch fühlte sie jetzt, da sie fast an ihrem Nachtlager angekommen waren, keine Ermüdung mehr. Stärker war die Furcht vor all den Fragen, denen sie sich stellen musste.
Duncan trieb das Pferd voran. Oben auf dem nächsten Hügel dirigierte er es durch das dichte Tannengehölz. Die Äste bogen sich unter dem Schnee, ein zusätzlicher Schutz. Doch bislang waren sie nicht am Ziel. Das Gehölz ging in ein noch dichteres über, und hier endlich sah auch Isabel die Hütte.
Das Holz der Behausung war verwittert, und auf dem Dach türmte
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