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Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Titel: Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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austreibt. So wird das anmaßende Gebet anders als bei al-Ghazali beinah nie erhört, und wenn, dann hat die Geschichte einen derart sarkastischen Ton, daß sie sich kaum als Beleg für die Gnade Gottes lesen läßt. Zwar stünde es in Seiner Macht, den Menschen alle Wünsche zu erfüllen – aber Er erfüllt vorzugsweise die schädlichen. Ein armer Narr geht in die Moschee und bittet Gott um hundert Dinar. Nichts passiert. Der Narr wird zornig und ruft:
    – Wenn Du mir das Geld nicht geben willst, bring doch lieber gleich die Moschee zum Einsturz!
    Da beginnt das Dach der Moschee zu bröckeln, die Ziegel drohen den Narren zu begraben.
    – Diese Bitte erfüllst Du ja sehr schnell. Wie ich Dich kenne, wirst Du wahrscheinlich auch noch mit dem Blutgeld knausern, wenn Du mich getötet hast.
    Die Decke bröckelt weiter. Da macht der Narr sich aus dem Staub (27/14, 254f.).
    Der Gott im «Buch der Leiden» gibt nichts, jedenfalls nicht freiwillig. Wer etwas von Ihm haben will, muß es sich nehmen, erkämpfen, notfalls erstehlen. Ein hungernder, frierender Narr bettelt an allen Türen der Stadt vergeblich um ein Stück Brot. Gott möge dir Brot geben, hört er nur. Schließlich klaut der Narr eine Vase aus der Moschee, wird aber beim Hinausgehen erwischt.
    – Alle sagen mir, Gott möge dir Brot geben, entschuldigt sich der Narr, aber Er gibt ja nichts freiwillig, da wollte ich mir selbst etwas nehmen. (22/4, 216)
    Attar kennt Hiob. Im «Buch Gottes» spricht er von ihm und nennt ihn denjenigen, der von Gott gequält wird, damit er stöhne – im Unterschied zu Zacharias, der zwar ebenfalls gequält, aber dem zugleich verboten wird, sich zu beschweren.[ 63 ] In Vorwegnahme Blochs versichert Attar, daß Gott das Leiden der Menschen nicht kümmert; ob Hiob über seinen Zustand weint, das ist Ihm so gleichgültig wie es Josef ist, daß Suleicha seinetwegen zugrunde geht.[ 64 ] Den Aspekt des positiven Duldens und der schließlichen Versöhnung, wie ihn die Hebräische Bibel auch enthält und der doch im Koran und seiner orthodoxen Exegese, aber ebenso in weiten Teilen der islamischen Mystik der einzig verbliebene ist,[ 65 ] diesen gottgefälligen Hiob erwähnt Attar nicht einmal. Rezeptionsgeschichtlich ist das ein interessanter Vorgang. Attar nimmt den biblischen Hiob ohne die Filterung des Korans und der islamischen Tradition auf und akzentuiert in seiner Deutung sogar noch das aufrührerische Profil. Damit bewahrt sich bei diesem islamischen Autor ein biblisches Motiv, das vom Hauptstrom der jüdisch-christlichen Exegese weitgehend verdrängt wurde – ein Beispiel dafür, wie sich die religiösen Traditionen des Nahen und Mittleren Ostens nicht nebeneinander, in abstrakter Nachbarschaft entwickelt haben, sondern aufeinander beziehen, sich gegenseitig durchdringen und zu erhellen vermögen. Attars Einsichten in die Eitelkeit allen Irdischens sowie des menschlichen Strebens nach Erkenntnis und Glück, die Meditationen über die ebenso sinnlose wie rasche Folge von Gebären und Tod sind bis in Formulierungen vorgeprägt von alttestamentlichen Dichtungen, etwa vom Prediger Salomo: «Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, daß sie wieder daselbst aufgehe.» (Pred. 1,5)
    Denn man gedenkt des Weisen nicht immerdar, ebensowenig wie des Narren, und die künftigen Tage vergessen alles; und wie der Narr stirbt, stirbt auch der Weise. Darum verdroß mich zu leben, denn es gefiel mir übel, was unter der Sonne geschieht, daß alles eitel ist und Haschen nach Wind. (Pred. 2, 16f.)
    Ein Narr, der in der Steppe lebt, kommt in die Stadt und betrachtet sprachlos das Gewimmel: Hunderttausende von Menschen, die aus Gründen, die nur sie selbst für wichtig halten können, eifrig nach hier laufen und nach dort. Als er sich daran satt gesehen hat, zieht er weiter mit den Worten:
    – Weh über diese Säcke, weh über den Sackmacher – so viele Säcke gibt es schon, und Er schafft immer neue herbei. (38/6, 342f.)
    Denn wo viel Sorge ist, da kommen Träume; und wo viel Worte sind, da hört man den Narren. (Pred. 5,2)
    Ein anderer Narr will wissen, warum sich die Pilger das Haupthaar scheren lassen, bevor sie nach Mekka aufbrechen.
    – Das ist religiöser Brauch (sonnat), antwortet einer.
    – Wenn das religiöser Brauch ist, dann ist es sicher eine religiöse Pflicht (farizeh), die Bärte zu scheren, schließlich steckt in jedem Bart so viel eitle Luft, daß es eine Plage ist für jede Tür, die offen steht. (36/1, 321)[

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