Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
macht, nur um sie nicht erhören zu müssen. Als der ertrinkende Pharao im letzten Augenblick das Glaubensbekenntnis aussprechen will, die Šahāda, stopft ihm Gabriel Meerschlamm in den Mund, so daß er nicht zu Ende sprechen kann und ungläubig stirbt. Wäre es ihm gelungen, die ganze Šahāda auszusprechen, wären ihm Unglaube und vierhundert Jahre sündiges Leben vergeben worden (0/2, 15f.).
Der Gedanke, daß die Menschen nicht nur von Gott nichts zu erhoffen haben, sondern sich vor Ihm hüten müssen, kehrt des öfteren wieder: So fragt der Besucher eines Irrenhauses einen Insassen, ob er einen Wunsch habe.
– Seit zehn Tagen habe ich nichts gegessen, antwortet der Irre, und Hunger habe ich für zehn Mann.
– Dann freu dich! ruft der Besucher. Ich werde gehen und dir Brot, Fleisch und Süßigkeiten holen!
– Sprich doch leise, du Schwätzer, sonst wird Gott dich noch hören, und dann wird Er bestimmt verhindern, daß du mir Brot bringst, und sagen, du sollest mich verhungern lassen. (2/6, 79)
Da die alttestamentlichen Texte das Verhältnis zu Gott weit konkreter als der Koran im Sinne einer persönlichen Beziehung schildern, ist ihnen die Frage der Theodizee eine Vertrauensfrage, eine Frage der charakterlichen Integrität Gottes, auf die Sein Volk sich verlassen muß. Abraham, der um das Schicksal der Bewohner von Sodom und Gomorrha ringt, fordert von Gott die Gerechtigkeit ein, die dieser von sich behauptet:
Das sei ferne von dir, daß du das tust und tötest den Gerechten mit den Gottlosen, daß der Gerechte sei gleich wie der Gottlose! Das sei ferne von dir, der du aller Welt Richter bist! (1. Mose 18, 25)
Zwar rechnen speziell die Klagegebete schon nicht mehr mit der prinzipiellen Gerechtigkeit Gottes; aber sie verlangen, daß Gott sich wenigstens an den Bund hält, den Er mit Seinem Volk geschlossen hat, also auch an das Versprechen, Leid nur als Strafe zu verhängen. Wo hingegen der Mensch unschuldig leidet, schlimmer noch: wo der Gerechte nicht trotz, sondern wegen seiner Gerechtigkeit leiden muß, da verklagen die Beter Gott, da würden sie Ihn am liebsten vor Gericht zerren. Keiner spricht das deutlicher aus als Hiob: «Ich bin unschuldig!» (9,21) Daß Gott ihn dennoch straft, nimmt Hiob als den Bruch ihres Bundes wahr, jener Abmachung zwischen Gott und dem Menschen, dank derer sich das auserwählte Volk überhaupt erst konstituiert hat. «Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten», schwört Gott zu Jakob (1. Mose 28,15), und Jakob seinerseits «tat ein Gelübde und sprach: So Gott wird mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und mir Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der Herr mein Gott sein.» (1. Mose 28,20f.) Die Beziehung Israels zu Gott wird beinah von Beginn an in der Terminologie eines Vertrags formuliert, von dessen Nutzen Gott die Menschen durch vielerlei Wunder erst überzeugen muß. Hiob nun spricht Gott schuldig, sich nicht an den Bund gehalten zu haben. Belangen kann er Gott freilich nicht:
Denn er ist nicht meinesgleichen, dem ich antworten könnte, daß wir vor Gericht miteinander kämen. Es ist zwischen uns kein Schiedsmann, der seine Hand auf uns beide lege. Er nehme von mir seine Rute und lasse seinen Schrecken von mir, daß ich möge reden und mich nicht vor ihm fürchten dürfe; denn ich weiß, daß ich kein solcher bin. (Hiob 9,32–35)
Bei Attar ist Gottes Ankläger, den im biblischen Buch Hiob schon seine Umgebung für närrisch hält, häufig gänzlich verrückt geworden. Es sind die Narren, die Spinnerten, die Idioten, die im «Buch der Leiden» am lautesten rufen, was die meisten Gläubigen nicht einmal zu denken wagen: daß Gott Böses im Schilde führt. Ob er Gott kenne, wird ein Narr gefragt.
– Wie sollte ich ihn nicht kennen! Durch Ihn bin ich doch ins Elend geraten. (27/9, 251f.)
Das ist Hiobs Erfahrung: Sowenig gegen Gott anzukommen ist, so wenig ist Er zu leugnen. Niemand sonst hätte die Macht zu solchem Unheil.
Er ist Gott; seinen Zorn kann niemand stillen; unter ihn mußten sich beugen die Helfer Rahabs. Wie sollte ich denn ihm antworten und Worte finden gegen ihn? Wenn ich auch recht habe, kann ich ihm dennoch nicht antworten, sondern ich müßte um mein Recht flehen. Wenn ich ihn schon anrufe, und er mir antwortet, so glaube ich doch nicht, daß er meine Stimme höre. Denn er fährt über mich mit Ungestüm und macht mir der Wunden viel ohne
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