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Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Titel: Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Wer weiß schon, welche Seelen groß
        Ertrunken sind in diesem Meer so tief?
Wer kennt schon die Herzen voller Liebe
        Die Blut wurden, Blut werden, genau wie deins?
Wer ahnt schon, welche Körper rein
        Blutgetränkt sanken unter die Erde?
Nichts als Wehklagen ist der Ertrag beider Welten,
        Nichts als Wehklagen tragen die Menschen im Herzen.
Wie könnt’ man still je sitzen,
        Wo’s so schnell wieder uns reißt fort?
Krumm und verworren diese Welt,
        Trümmer, auf Ruinen errichtet. (16/8, 179f.)
    Das Liebesverhältnis zu einem persönlichen Gott als dem, der zugleich des Menschen Retter und Zerstörer ist – «Ein Räuber bist du, raube mich» (E 16, 377) –, drückt sich im Koran eher zwischen den Zeilen aus, ist aber unmittelbar präsent in weiten Teilen der Hebräischen Bibel, wo die Menschen bei keinem anderen bangend-liebend Zuflucht suchen als bei Gott, den sie zugleich zu Tode fürchten: «Sei du mir nur nicht schrecklich.» (Jer. 17,17) Auch in den unzähligen Wehklagen der Narren, der Heiligen und ebenso des Dichters selbst, den Himmelsseufzern und Höllenschreien, die kein Ende nehmen wollen, schreibt Attar biblische Anschauungen fort, die der Koran nicht aufgenommen hat.
Aus allen Poren, Geliebter, schreie ich und blute,
        Als wär’ ich die Laute, die Dir gefällt. (0, 17)
    Ein Narr wird von einem Verständigen gefragt, was ihn so traurig gemacht habe.
    – Gott, antwortet der Narr: Nicht mehr ein noch aus weiß ich aus Kummer über Ihn.
Ich fürchte mich vor Ihm, und wären sie sehend,
        Fürchteten sich die Menschen alle.
Wie soll die Menschheit nicht fürchten den,
        Der auf die Herde losläßt den Wolf,
Damit Er danach mit dem Hirten trauert?
        Was Wunder, daß wir uns grämen über Ihn.
Bitter hat Er den Glauben mir heute gemacht,
        Was erst wird Er morgen mir tun? (38/4, 341)
    Man kennt solche Töne nicht aus dem Koran, sondern allenfalls aus der frühislamischen Askese, deren Leiden an Gott, deren religiöser wie existentieller Pessimismus Attar ein ums andere Mal ins Gedächtnis ruft. Ihre literarische Wurzel aber haben sie in der Klagetradition der Hebräischen Bibel, die Gott häufig zur Verantwortung zieht für die Not des Menschen:
Ich bin der Mann, der Elend sehen muß durch die Rute des
        Grimmes Gottes.
Er hat mich geführt und gehen lassen in die Finsternis und nicht
        ins Licht.
Er hat seine Hand gewendet gegen mich Tag für Tag,
Er hat mir Fleisch und Haut alt gemacht und mein Gebein
        zerschlagen.
Er hat mich ringsum eingeschlossen und mich mit Bitternis
        und Mühsal umgeben.
Er hat mich in Finsternis versetzt wie die, die längst tot sind.
Er hat mich ummauert, daß ich nicht herauskann, und mich in
        harte Fesseln gelegt.
Und wenn ich auch schreie und rufe, so stopft er sich die Ohren
        zu vor meinem Gebet.
Er hat meinen Weg vermauert mit Quadern und meinen Pfad zum
        Irrweg gemacht.
Er hat auf mich gelauert wie ein Bär, wie ein Löwe im Verborgenen.
Er läßt mich den Weg verfehlen, er hat mich zerfleischt und zunichte
        gemacht.
Er hat seinen Bogen gespannt und mich dem Pfeil zum Ziel gegeben.
Er hat mir seine Pfeile in die Nieren geschossen. (Klagel. 3,1–13)
    Von der Arglist (makr) Gottes, die für die Sufis und Narren Attars einen so realen Faktor des Lebens darstellt, daß manche nicht einmal minutenweise Schlaf finden, weil sie wie Malik ibn Dinar (gest. ca. 748) stets den «nächtlichen Überfall fürchten» (35/6, 317), von der Arglist berichtet der Koran nur in Andeutungen; der Hebräischen Bibel hingegen ist sie bitter vertraut. Dort hat Gott sein Volk betäubenden Wein trinken lassen, auf daß es sündige (Ps. 60,5).
Du hast uns mit Zorn überschüttet und verfolgt und ohne
        Barmherzigkeit erwürgt.
Du hast dich mit einer Wolke verdeckt, daß kein Gebet hindurch
        konnte.
Du hast uns zu Kot und Unflat gemacht unter den Völkern.
Alle unsre Feinde sperren ihr Maul auf wider uns.
Wir werden gedrückt und geplagt mit Schrecken und Angst
Meine Augen rinnen mit Wasserbächen über den Jammer der
        Tochter meines Volks. (Klagel. 3,43–48)
    Auch Attar weiß, daß Gott die Gebete der Menschen absichtlich unhörbar

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