Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
denn einmal vorkommt, kaum je für sich und über allem Menschlichen, sondern beinahe durchgängig in didaktischer Absicht – damit der Mensch gütig sei. Ein Ungläubiger bittet Abraham, den «Freund Gottes», wie ihn die muslimische Tradition nennt, um ein Stück Brot.
– Wenn du den rechten Glauben annimmst, antwortet der Prophet, kannst du alles haben, was du willst.
Kaum ist der hungrige Mann fortgegangen, als Gabriel erscheint und Abraham von Gott ausrichtet:
– Wer hat denn den Ungläubigen bisher Brot gegeben? Gott! Da du der «Freund Gottes» bist, sei auch so freigebig wie Er. (34/6, 317)
Auch Attar sieht in der Sanftmut Jesu das eigentliche ethische Modell. Der Pir belehrt den Wanderer, daß Jesus den Vorrang im Edelmut (karam), der Güte (loṭf) und der Reinheit (pāki) habe: Weil er selbst rein war, sah er alles rein. Seinen liebenden Blick richtet Jesus noch auf jene Geschöpfe, die in muslimischen Gesellschaften neben den Schweinen traditionell als Verkörperung des Unreinen gelten: Jesus kommt an einem toten Hund vorbei, dessen Maul aufs häßlichste offen steht und von dem ein schlimmer Aasgeruch ausgeht, daß jedermann sich ekelt und niemand ihn anschauen mag.
– Dieser Hund gehört Ihm, sagt Jesus zu seinem Begleiter: Sieh doch, wie weiß seine Zähne sind! (34/1, 302)
Aber auch die anderen Propheten, die muslimischen Heiligen und viele Narren haben bei Attar das Gebot der Nächstenliebe verinnerlicht und es noch – vielleicht von indischer Glaubenspraxis mit angestiftet – auf die Tiere erstreckt. Eine Taube flüchtet sich vor einem Falken in den Ärmel Moses. Er möge ihm seine Jagdbeute herausgeben, bittet der Falke den Propheten. Dieser will die Taube nicht ausliefern, den Falken aber auch nicht hungern lassen. Daher schneidet er sich ein Stück Fleisch vom eigenen Leibe ab (34/3, 304f.). Eine besonders anrührende Geschichte aus dem «Buch Gottes» handelt vom Imam Ali, der beim Gehen versehentlich eine Ameise verletzt. Aufs äußerste bestürzt, bricht er in Tränen aus und versucht der Ameise auf die Beine zu helfen. Des Nachts bekommt Ali zu allem Überfluß auch noch Vorwürfe vom Propheten: Er solle doch aufpassen beim Gehen, zwei Tage lang habe der ganze Himmel in Trauer gelegen wegen der Ameise, die beständig mit dem Lobe Gottes beschäftigt gewesen sei. Von Reue gepeinigt, bricht Ali in Zittern aus, bis ihn endlich der Prophet mit der Nachricht tröstet, daß die Ameise selbst für ihn Fürsprache eingelegt habe.[ 98 ]
Solch unbedingte, achtsame Liebe ist Gott im «Buch der Leiden» fern. Nicht alle Menschen, wohl aber die Propheten, Heiligen und Narren übertreffen hier immer wieder den Schöpfer an Mitleid, wie es die sufische Literatur in der oft zitierten Anekdote von Bayezid Bestami vorgezeichnet hat, der am Friedhof der Juden vorbeikommt und zu Gott spricht:
– Was sind diese Leute schon, daß Du sie mit Strafe quälst? Eine Handvoll Knochen, die der Vorhersehung unterworfen sind. Vergib ihnen doch![ 99 ]
Bayezid ist sogar bereit, sich selbst zu opfern, um die Menschheit aus der Hölle zu befreien:
– Mein Gott, wenn Du in Deinem ewigen Wissen weißt, daß Du einen Menschen mit der Hölle bestrafen wirst, so mache meinen Leib so groß in der Hölle, daß neben mir niemand mehr Raum in ihr hat.[ 100 ]
So wie auch Schibli ankündigt, anders als der Prophet am Jüngsten Tag nicht nur für die Muslime Fürsprache einzulegen, sondern für alle Menschen, «bis keiner mehr in der Hölle bleibt»,[ 101 ] will auch dieser Gläubige im «Buch der Leiden» die Ungläubigen der Hölle entreißen.
Ein Großer im Glauben, nachts im Gebet,
Sprach ach! und o weh! vor dem Wahrhaften:
O Gott! Am Tag des Gerichts werd’ ich
Geduldig an der Hölle Rand sitzen
Um einen Dolch zu fassen bekommen aus Licht,
Mit dem ich der Hölle vertreibe alle Sünder,
Sollen sie sicher sein endlich vor deren Glut
Und einzieh’n auf ewig in den himmlischen Garten.
Da rief eine Stimme ihm zu:
Bleib du sitzen gefälligst und schweig,
Sonst posaun’ ich in alle Welt deine Sünden,
Daß dich steinigen werden deine Gefährten.
Der Großgläub’ge hört’ das und hörte dennoch nicht auf:
Sag schon, was hab’ ich denn Falsches gesagt?
Dahin wirst Du’s noch bringen, daß ich
Meinen Mund öffne allen Menschen
Und erzähle so lang von Deiner Güte,
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