Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
Bis auf der Erde niemand mehr niederfällt vor Dir. (E 15, 376)
Dieser Gläubige hat wenigstens noch Hoffnung. Auf der Grundlage seiner eigenen Barmherzigkeit fordert er Gott heraus, selbst barmherzig zu sein. Er ringt mit Gott, damit dieser seinen eigenen Ansprüchen genügt, eben so, wie es Hiob getan hat oder der Prophet Habakuk:
Deine Augen sind rein, als daß du Übles nicht sehen magst, und dem Jammer kannst du nicht zusehen. Warum siehst du denn den Räubern zu und schweigst, daß der Gottlose verschlingt den, der frömmer als er ist? (Hab. 1,13)
Viele von Attars Helden sehen das aus Erfahrung nüchterner. Ein verstorbener Bettler wird im Traum gesehen und gefragt, wie es ihm im Himmel mit Gott ergangen sei.
– Er hat mich gefragt, was ich mitgebracht habe, sagt der Bettler: Was soll ich denn schon besitzen, habe ich Ihm geantwortet. An die fünfzig Jahre bin ich bettelnd von Tür zu Tür gegangen, die ganze Welt habe ich so durchstreift. Niemand hat mir auch nur einen Bissen Brot gegeben, alle haben mich an Dich verwiesen. Jetzt komme ich zu Dir, und nicht bloß, daß Du mir nichts gibst – Du verlangst auch noch etwas von mir, einem Bettler? Ein König bettelt doch nicht. (E 14, 375)
Oft ist dem Leiden am angeblich mildtätigen Schöpfer jedes Pathos ausgetrieben und die Wut in sarkastische Ironie gepreßt, in nicht mehr als drei Verse wie in dieser Geschichte:
Ein Tölpel bat um einen Happen Brot,
Sagte, nichts geht mehr, jetzt hilft nur noch Gott.
Du Elender, rief ein Narr, vergeudest deine Zeit.
Als Hunger herrschte, habe ich’s mit Gott probiert,
Viele Jahre lang, Krieg war’s und Tote überall.
Hat’s geholfen? Nicht mal für’n Krümel Brot hat’s gereicht.
(27/8, 251)
Lust des Leidens
Attar erzählt solche Geschichten nicht etwa, um zu warnen. Die Narren genießen seinen wie den Respekt fast aller mystischen Dichter. «Aus ihren Worten spricht die Liebe», betont Attar immer wieder, «magst du es glauben oder nicht.» (27/11, 252) Ja, sie lieben Gott, die Menschen im «Buch der Leiden», die Narren und die Weisen, aber auch die Eltern und Kinder, die Kaufleute, die Bettler und sogar viele der Ungläubigen, die Zoroastrier, Christen und Juden, von denen Attar erzählt. Und nicht nur sie: Der ganze Kosmos verzehrt sich nach dem Schöpfer. Attar schafft mit der Kosmologie des Schmerzes zugleich eine Schöpfungsgeschichte der Sehnsucht nach dem eigenen Ursprung, der im Schöpfer ist. Über viele Seiten seiner Einleitung hinweg spricht der Dichter zu Gott, nur um zu beteuern, daß jedes einzelne Element der Natur und des Weltalls vor Liebe zum Schöpfer überfließt, das Himmelsgewölbe etwa, das sich vor Verlangen windet, oder die Erde, die sich in Anrufung des Schöpfers zum Himmel streckt. Die Sonne ist aus Scham erbleicht – nicht aus Scham vor Gott, eine so unmittelbare Regung würde sie nicht wagen, nein «aus Scham vor dem Hund in Deiner Gasse» (0, 8). Der aufgehende Mond ist ein Hufeisen im Feuer, aber glücklich darin, weil Gott es angezündet hat. Die Morgendämmerung weckt alle Geschöpfe täglich zum Leben durch ihr kokettes Lächeln, mit dem sie Gott für sich einnehmen will, die Nacht kommt jeden Tag wie Seine Offenbarung herab und bringt die Sterne zum Vorschein, Zähnen gleich im Mund des Kosmos. Weil der Himmel ohne Gott ist, blitzt er vor Neid und regnet Tränen, das Feuer macht sich zum Gespött, so sehr verzehrt es sich nach Gott. Suleicha bleibt am Wegrand, als Josef mit der Peitsche nach ihr schlägt, um sie zu vertreiben. Nur einen Wehlaut stößt sie aus mit so feurigem Atem, daß die Peitsche Feuer fängt und Josef sie loslassen muß. Da sagt Suleicha:
– Dieses Feuer lodert seit Jahr und Tag in meiner Seele, aber du erträgst nicht einmal den Hauch davon an deiner Hand. Und dabei bist du der Mann und ich die Frau. (32/4, 291f.)
Daß Er den Geschöpfen nicht verhaßt oder gleichgültig sein kann, da sie vor Liebe zu Ihm brennen, macht ihren Schmerz aus, der größer und jämmerlicher nicht sein könnte. Denn der Schöpfer weist sie ab, Er verschließt sich vor ihnen oder nimmt sie nicht einmal wahr. «Er ist zugleich fürchterlich spürbar und unwahrnehmbar geworden», wie Martin Buber über den Gott Hiobs schreibt, der in weiter Ferne so nah ist.[ 102 ]«Ach, daß ich wüßte, wie ich ihn finden und zu seinem Stuhl kommen möchte», sagt Hiob (23,3), nachdem er einen Vers
Weitere Kostenlose Bücher