Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)

schwachsinniger Begriff, meinen Sie nicht? Was soll ich mir darunter vorstellen?«
    »Es soll einfach heißen, dass man das Gefühl hat, mit einer Angelegenheit zur Ruhe zu kommen. Dass man sich mit etwas ausgesöhnt hat.«
    »Ich bin kein Mensch, der sich leicht aussöhnt.«
    »Also sollten wir vielleicht noch mehr über ihn sprechen.«
    »Ich wüsste nicht, was ich Ihnen noch erzählen soll.«
    »Ich habe eine Frage. Ein Punkt, über den ich am Wochenende nachgedacht habe.«
    »Also los.«
    »Haben Sie das Gefühl, Sie sind, wie Sie sind, um irgendwie gegen ihn zu rebellieren?«
    »In welcher Hinsicht?«
    »Vom äußeren Eindruck her. Er machte den Eindruck eines Musterpolizisten, aber tatsächlich war er ein ziemlich destruktiver und korrupter Mann. Sie wirken destruktiv …«
    »Das würde ja passen, wenn ich innen drin ein toller Kerl wäre. Aber glauben Sie mir, das bin ich nicht.«
    »Halten Sie sich nicht für einen guten Menschen?«
    »Ich weiß nicht, wofür ich mich halte, jedenfalls tendiere ich dazu, die Dinge zu versauen. Ich meine, schauen Sie nur, was gerade mit Radick und Caitlin passiert ist.«
    »Es ist nicht ungewöhnlich, wenn Menschen, die eine Therapie beginnen, einiges von den Gefühlen rauslassen, die sie unterdrückt haben, Frank. Gar nicht ungewöhnlich. Ihre Ausbrüche gegenüber Ihrer Tochter stehen nicht nur für den Wunsch und den Impuls, sie zu beschützen; man muss sie auch in dem Licht betrachten, dass sie der einzige Mensch in Ihrer Familie ist, auf den Sie noch Einfluss zu haben glauben.«
    »Ich versuche, ihr zu helfen.«
    »Das weiß ich, Frank.«
    »Wie kommt es dann, dass ich am Ende Schaden anrichte?«
    »Das kann ich nicht beantworten, Frank. Nur Sie können das.«
    »Allmächtiger Gott, ist es derart verboten, dass Sie einfach mal Ihre Meinung sagen? Warum müssen Sie mit jedem verdammten Wort so vorsichtig sein?«
    »Weil unsere Gespräche sich nicht darum drehen, was ich denke. Es geht nicht um meine Meinung, sondern um Ihre.«
    »Also wollen Sie meine Meinung hören?«
    »Deswegen sind wir hier, Frank.«
    »Wozu genau?«
    »Ihre Meinung über Ihren Beruf wäre ein guter Anfang. Sagen Sie mir, was diese Arbeit Ihrer Meinung nach bedeutet und warum Sie sie tun. Sagen Sie mir, wie Sie über die Menschen denken, mit denen Sie dabei zu tun haben, die Opfer und die Täter.«
    »Meine Meinung? Ich bin der Meinung, dass jeder die Fähigkeit zum Bösen in sich trägt. Verdammt, ich meine nicht Gene oder Chromosomen. Ich meine bestimmte Situationen und Konstellationen, Umwelteinflüsse, vielleicht ist das Böse sogar eine Art Geisteskrankheit. Ich denke nicht, dass irgendwer auch nur die leiseste Ahnung hat. Vielleicht sind manche Menschen einfach von Natur aus destruktiv veranlagt; vielleicht haben manche die Fähigkeit, sich selbst unter Kontrolle zu halten, und andere haben sie nicht. Ich halte Psychiatrie und Psychologie für Spekulation. Ich glaube, sie verwischen die Grenzen. Verdammt, früher war es einfach, zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden. Dann kamen diese Leute – angebliche Fachleute auf ihrem Gebiet – und fingen an, uns zu erzählen, dass diese Arschlöcher eigentlich auch Opfer sind. Opfer der Gesellschaft, Opfer ihrer misshandelnden Eltern, Opfer von Vernachlässigung. Mein Gott, wenn jeder, der als Kind misshandelt wurde, als Serienmörder enden würde, dann gäbe es längst keine Menschen mehr. Na ja, was mich betrifft, haben diese Fachleute zumindest eines erreicht: Sie haben uns überzeugt, dass die Arschlöcher, die anderen Menschen schlimme Dinge antun, das nicht einfach deshalb machen, weil sie Arschlöcher sind, sondern wegen der verdammten schrecklichen Erlebnisse in ihrer Kindheit. Man sagt, es ist nicht ihre Schuld; sie sind nur ein Produkt der Gesellschaft, die wir geschaffen haben. Und sämtliche Anwälte springen auf den Zug auf. Aus Anklägern werden Verteidiger. Gerichtliche Gutachter sagen im Sinne desjenigen aus, der ihnen den fettesten Scheck unterschreibt. Manchmal widersprechen sie sogar ihrem eigenen Gutachten und behaupten, der Grund dafür wären zusätzliche Nachforschungen. Und dann findet man heraus, dass der Verteidiger einfach eine Null an ihr Honorar angehängt hat. Am Ende geht es nur noch um Geld. Es geht nicht mehr um Schuld oder Unschuld, sondern um das Geschick, mit dem Anwälte die Geschworenen manipulieren. Früher brachen Theorien in sich zusammen, wenn Fakten ans Licht kamen. Heutzutage sind die Fakten